Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Verhältnis zwischen den ehemaligen Gegnern Frankreich und Deutschland schwer belastet: "Damals war die Beziehung der Nachbarn zueinander noch sehr schlecht", erinnert sich Historiker Pierre Gerbet. "Die Franzosen hatten nach dem Krieg das Saargebiet übernommen, um dort die Kohle auszubeuten. Adenauer, der neue deutsche Kanzler, wollte das Saargebiet aber unbedingt zurück haben." Am 9. Mai 1950 sitzt Gerbet im Uhrensaal des französischen Außenministeriums am Pariser Quai d'Orsay und traut seinen Ohren nicht. Der französische Außenminister Robert Schuman macht damals einen überraschenden Vorschlag: "Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen. In einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht." Schuman will damit den Frieden in Europa stabilisieren: Wer gemeinsam Geschäfte macht, schießt nicht aufeinander. Schumans Vorstoß, eine so genannte Montanunion zu bilden, hat Erfolg: Am 18. April 1951 unterschreiben sechs Staaten - Frankreich, die Bundesrepublik, Belgien, Italien, Luxemburg und die Niederlande - den Vertrag zur Gründung der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS).
Der Leiter des französischen Planungsamtes, Jean Monnet, von dem die Idee für den Schuman-Plan stammt, bezeichnet diesen später als "Geburtsurkunde" der Europäischen Gemeinschaft (EG). Die daraus hervor gegangene Europäische Union (EU) feiert den 9. Mai jeden Jahr als Europatag - zu Ehren von Robert Schuman. Der Geburtshelfer Europas ist selbst von Geburt an Europäer. Seine Mutter ist Luxemburgerin, sein Vater Lothringer. Zuhause werden Deutsch und Französisch gesprochen. Am 29. Juni 1886 im luxemburgischen Clausen geboren, erlebt Schuman sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg. Danach steht für den promovierten Juristen fest: Nur wenn die Europäer gemeinsame Sache machen, gibt es dauerhaft Frieden: "Ich akzeptiere das Prinzip, auf souveräne Rechte zu verzichten als die einzige Möglichkeit, nationale Egoismen zu überwinden und die Engstirnigkeit, die uns tötet."
Ab 1952 kann die europäische Sechser-Gemeinschaft zollfrei Kohle und Stahl handeln. Doch Schumans Aussöhnungspolitik wird zur Zielscheibe der Kritik. Die Anhänger von Charles de Gaulles lehnen seine kompromissbereite Haltung in der Saarfrage ab. Noch im selben Jahr legt Schuman sein Amt nieder. 1958 dann der Triumph: Einstimmig wird er zum ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments in Straßburg gewählt. Drei Jahre später erleidet Schuman einen Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder erholt. Er stirbt am 4. September 1963 in Chazelles bei Metz.
Stand: 04.09.08