Hunderte Journalisten haben sich unter der Glaskuppel des gerade erst wieder aufgebauten Wintergartens im Welthandelszentrum in New York versammelt. Durch die Glasfront blicken sie direkt auf Ground Zero, wo keine 18 Monate zuvor nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 die 400 Meter hohen Zwillingstürme des World Trade Centers einstürzten. An diesem 27. Februar 2003 wird präsentiert, was hier neu entstehen soll. Die Jury erklärt Daniel Libeskind und seinen 541 Meter hohen "Turm der Freiheit" zum Sieger eines internationalen Architektenwettbewerbs. Das entspricht einer Höhe von 1.776 Fuß und soll an die amerikanische Unabhängigkeit 1776 erinnern. Auf der Spitze des Modells befindet sich eine Konstruktion, die der Fackel der Freiheitsstatue im New Yorker Hafen nachempfunden ist.
Libeskind erläutert seinen Bebauungsplan: "In der Mitte eine Flamme, die Gedenkstätte unbebaut, und darum herum eine Spirale von Gebäuden, aus der wieder eine Ikone herausragt: der Freiheitsturm mit dieser Fackel." Die Gebäude sind so angeordnet, dass die Gedenkstätte jedes Jahr am 11. September von Sonnenlicht durchflutet wird - zwischen 8.46 Uhr und 10.28 Uhr, zwischen dem Einschlag des ersten Flugzeugs und dem Einsturz des zweiten Turms. Als ein Architekturkritiker der "New York Times" den Entwurf als "geschmacklose Idee" mit "kitschigem Ergebnis" bezeichnet, wird die Zeitung mit E-Mails überschüttet, die eine Entlassung des Journalisten fordern. Später wird bekannt, dass die Kampagne aus Libeskinds Büro gesteuert wurde. Doch Libeskind schafft es, dass New Yorks Gouverneur Pataki zu seinen Gunsten bei der Jury interveniert. Damit glaubt Libeskind, den Bauauftrag für ein Ensemble von Hochhäusern mit einer Million Quadratmeter Bürofläche in der Tasche zu haben. Ein Bauvolumen von mehreren Milliarden Dollar.
Doch Libeskind freut sich zu früh. Denn bezahlen soll das Ganze der New Yorker Immobilieninvestor Larry Silverstein. Nur sechs Wochen vor dem 11. September hat er das Welthandelszentrum von den New Yorker Stadtwerken in Erbpacht übernommen. Für Silverstein verspricht Libeskinds Entwurf zu wenig Gewinn. Deshalb erteilt er den Auftrag seinem Hausarchitekten David Childs. Die neue Version des "Freedom Tower " ist zwar weiterhin 1.776 Fuß hoch, aber ansonsten nicht wieder zu erkennen. Er ist nun ein klassischer Wolkenkratzer mit 69 Büro-Etagen und antennenartiger Spitze. Nach außen macht Libeskind gute Mine: "Für mich ist es jetzt wie für einen Komponisten, der eine Partitur geschrieben hat und sie nicht selbst zur Aufführung bringt." Der Grundstein wird am 4. Juli 2004 gelegt, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Der Gebäude soll 2011 fertig sein. Einen Leerstand muss Silverstein nicht befürchten. Er hat den Turm bereits an die New Yorker Stadtwerke zurückvermietet.
Stand: 27.02.08