"Der Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung sind unabweisbar geworden", sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder ( SPD ) bei seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 im Reichstag. "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Seine "Agenda 2010" enthalte "weitreichende Strukturreformen" - zum Beispiel die Streichung von Eigenheimförderung und Pendlerpauschale, die Einführung der Rente mit 67 und die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Dazu gehören auch die Arbeitsmarktreformen Hartz I bis IV, deren ersten beide Teile bereits seit Januar 2003 in Kraft sind. Mit diesen Maßnahmen soll der Staat seine Sozialausgaben senken, die Unternehmen bei den Lohnnebenkosten entlasten und so neue Arbeitsplätze schaffen. "Mein politisches Schicksal will ich ganz bewusst verbinden mit der Durchsetzung dieser Reformforderungen", sagt Schröder in seiner Agenda-Rede.
Das SPD-Präsidium unterstützt die "Agenda 2010" einstimmig. Auch die Parteispitze des grünen Koalitionspartners akzeptiert die Kürzungen sozialer Leistungen. Doch im Bundestag muss die rot-grüne Bundesregierung erst einmal die eigene Mehrheit organisieren. Denn es gibt Abweichler in der Koalition, darunter der SPD-Mann Ottmar Schreiner und der Grüne Werner Schulz, der sagt: "Diese Agenda lastet die Reparaturkosten einseitig den Schwachen auf." Während die Kritiker in den eigenen Reihen in intensiven Einzelgesprächen - zum Teil von Schröder persönlich - bearbeitet werden, arbeiten die Ministerien die Gesetzesvorlagen der "Agenda 2010" aus. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vereinbart mit dem CSU-Kollegen Horst Seehofer einen Kompromiss zur Gesundheitsreform. Dabei sollen die Versicherten belastet werden: höhere Zuzahlungen für Behandlungen, Praxisgebühr, eigener Versicherungsschutz für den Zahnersatz und das Krankengeld, kein Sterbegeld mehr. Im Gegenzug sollen die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenkasse sinken.
Am 26. September 2003 steht der erste Teil der Gesetze, die Schröder in seiner "Agenda 2010" angekündigt hat, im Bundestag zur Abstimmung: die Gesundheitsreform und das "Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt". Dieses sieht eine verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, eine Lockerung des Kündigungsschutzes und Änderungen bei den Arbeitszeiten vor. Beide Vorlagen werden vom Parlament angenommen. Bei der Gesundheitsreform erreicht die Koalition zwar eine eigene Mehrheit, allerdings bei sechs Gegenstimmen aus den Reihen der SPD und einer Enthaltung bei den Grünen. Dennoch ist Schröder zufrieden. Die Umsetzung der "Agenda 2010" geht weiter. Vor Weihnachten 2003 werden die im Vermittlungsausschuss ausgehandelten Kompromisse zur Steuer-, Wirtschafts- und Rentenpolitik verabschiedet, zudem die Gesetze Hartz III und IV. Schröder benötigt dafür allerdings teilweise die Stimmen der Opposition, weil sich die rot-grünen Kritiker nicht disziplinieren lassen. "Die Agenda 2010 beginnt", resümiert der damalige SPD-Fraktionschef Franz Müntefering. "Damit bekommt die politische Erneuerung unseres Landes Richtung und Tempo."
Stand: 26.09.08