Stichtag

09. September 2004 - Vor 40 Jahren: DDR erlaubt Rentnern Westbesuche

"Meine Oma Leipzig war schon sehr großartig, weil die sehr fröhlich und lustig war", erinnert sich Silke Klewin. Für sie war es ein Höhepunkt des Jahres, wenn ihre Oma aus Leipzig nach Hannover kam. Doch damit war es nach dem Mauerbau 1961 erst einmal vorbei. Aus Angst vor anhaltendem Bevölkerungsschwund verbietet die DDR-Regierung ihren Bürgern Reisen in den Westen.Am 9. September 1964 beschließt der Ministerrat der DDR, Rentnern den Westbesuch wieder zu erlauben. Als zwei Monate später die ersten Interzonenzüge voller Senioren eintreffen, spielen sich rührende Szenen auf den Westberliner und westdeutschen Bahnhöfen ab. Großeltern sehen zum ersten Mal ihre Enkelkinder, Eltern "von drüben" liegen sich mit ihren Kindern aus der Bundesrepublik in den Armen, Ost-Tanten und -Onkel begrüßen nach mehreren Jahren überschwänglich ihre West-Nichten und -Neffen.

Allein im ersten Jahr nutzen zwei Millionen Rentner die Möglichkeit, für bis zu vier Wochen in den Westen zu reisen. Jeder tausendste Rentner kehrt nicht zurück. Kein großer Verlust im Kalkül der DDR, wie Georg Herbstritt von der Gauck-Behörde glaubt, weil die Rentner für die Volkswirtschaft entbehrlich seien. Bei ihrer Rückkehr hatten die Senioren – Frauen mussten mindestens 60 Jahre alt sein, Männer 65 Jahre – begehrte Westware im Gepäck: Schokolade, Kaffee, Feinstrumpfhosen, Zigaretten, Seife... Geschenkt von ihren Westverwandten oder gekauft von den fünfzig Mark, welche die Bundesrepublik den Rentnern aus dem Osten spendierte.
Mit der Entspannungspolitik kommt auch der Besucherverkehr Richtung DDR in Schwung – und wird für die DDR zur einträglichen Devisenquelle. Fünf, später 25 D-Mark müssen die Wessis pro Tag umtauschen, zum Kurs von eins zu eins. Für viele Westler ein Eintrittsgeld für eine graue Republik mit finsterem Empfang durch unfreundliche Grenzbeamte.


Stand: 09.09.04