Stichtag

26. Juni 2009 - Vor 35 Jahren: Kölner Herstatt-Bank wird geschlossen

Fußball-Weltmeisterschaft in der Bundesrepublik: Am 26. Juni 1974 spielt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Düsseldorf gegen das Team von Jugoslawien. Doch bei den Mitarbeitern der Kölner Herstatt-Bank ist das Interesse am Spiel plötzlich wie weggeblasen. Kurz vor Anpfiff erfahren sie, dass die Bank pleite ist. Das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen hat die zweitgrößten Privatbank der Bundesrepublik geschlossen. Der Grund: Devisenspekulationen haben Verluste von rund 500 Millionen Mark verursacht. Bankier Iwan David Herstatt gehört zur Kölner Gesellschaft. Nicht nur 50.000 Privatkunden, sondern auch die Stadt und der Erzbischof haben ihm ihr Geld anvertraut. Im Jahr zuvor hat er zu seinem 60. Geburtstag 850 Bankkunden ins Opernhaus eingeladen.

Verspekuliert haben sich die sechs Devisenhändler der Herstatt-Bank in einem eigens für sie eingerichteten Arbeitsraum. Erst Anfang 1974 ist er renoviert worden und hat für damalige Verhältnisse ein futuristisches Design. Intern wird er "Raumschiff Orion" genannt - und die darin arbeiten "die Goldjungs". Die haben einen besonderen Auftrag - auch wenn deren Abteilungsleiter Dany Dattel rückblickend den glamourösen Ruf herunterspielt: "Im Devisenhandel müssen Sie seriös, hart arbeiten." Die Ära der Devisenabteilungen bei Herstatt und den anderen deutschen Banken beginnt 1973, als unter dem Druck der Ölkrise das System der festen Wechselkurse aufgegeben wird. Von nun an kann sich der Umtauschkurs, zum Beispiel zwischen Dollar und D-Mark, täglich ändern. Deshalb werden die Warengeschäfte, die in fremden Währungen abgewickelt werden, durch ein sogenanntes Devisentermin-Geschäft abgesichert. Für exportierende Unternehmen und ihre Hausbanken ist das Alltag - auch bei Herstatt. Doch die Goldjungs beginnen bald, auch ohne zugrundeliegende Warengeschäfte auf den künftigen Dollar-Kurs zu spekulieren. Zunächst geht die Rechnung auf: Die Devisenabteilung gleicht im Krisenjahr 1973 mit ihren Gewinnen die Verluste anderer Abteilungen aus. Aber dann wendet sich das Glück.

Wer zu welchem Zeitpunkt was gewusst hat oder hätte wissen müssen: Darüber gehen nach der Schließung der Herstatt-Bank zwischen den Beteiligten die Meinungen weit auseinander. Während Dattel behauptet, alles sei mit Wissen oder zumindest Duldung der Chefetage passiert, stellt Herstatt die Sache ganz anders dar. Erst am 10. Juni 1974, knapp zwei Wochen vor dem Crash, will er erstmals von den Verlusten der Devisenspekulanten seines Hauses erfahren haben. Nach zwei Gerichtsverfahren wird Herstatt wegen Bilanzfälschung und Untreue schließlich zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Dattel ist nicht verhandlungsfähig. Er leidet als überlebender Jude von Auschwitz unter dem sogenannten KZ-Syndrom. Die Kleinsparer erhalten trotz anfänglicher Sorge schließlich mehr als 80 Prozent ihres Geldes zurück.Der erste Zusammenbruch einer deutschen Bank nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt nicht ohne Resonanz: 1976 gründen die Kreditinstitute den sogenannten Einlagensicherungsfonds, um Spareinlagen bei Pleiten zu schützen.

Stand: 26.06.09