Geheimnisvolles geschieht gegen Mitternacht im Garten der Canstatter Villa von Gottlieb Daimler. Zwei Polizisten brechen in Begleitung von Daimlers Gärtner in das hinter hohen Büschen verborgene Gartenhaus ein. Statt einer vom Gärtner dort vermuteten Falschmünzer-Werkstatt finden die Beamten Maschinenteile, Räder und einen kleinen Motor. Streng von der Außenwelt abgeschottet hat ihn der Hausherr gemeinsam mit seinem Angestellten Wilhelm Maybach konstruiert. Die dabei entstehenden Arbeitsgeräusche hatten beim Gärtner Zweifel an der Rechtschaffenheit seines Arbeitgebers aufkommen lassen. Am 16. Dezember 1883 lässt sich Gottlieb Daimler seine Erfindung patentieren. Es ist der erste kleine, schnell laufende Motor, der durch Benzin als Treibstoff unabhängig von Gasleitungen und Kohlekesseln arbeitet. Eine bahnbrechende Neuentwicklung gegenüber den bisher bekannten, klobigen stationären Motoren.
Daimlers Motor funktioniert nach dem von Nikolaus August Otto erfundenen Viertaktprinzip. Doch dem am 17. März 1834 geborenen Bäckersohn aus Schorndorf ist eine entscheidende Verbesserung bei der Zündung des Treibstoffes gelungen. Ein kleines Röhrchen wird von außen erhitzt und entzündet dann im Zylinder das Benzin-Luft-Gemisch, was Daimlers Motor deutlich leistungsfähiger macht. Der Bau von Automobilen, wie wir sie heute kennen, wird so erst möglich. Daimler selbst aber hat weitaus kühnere Visionen: "Ihm schwebte eine allgemeine Motorisierung zu Wasser, zu Lande und in der Luft vor", schreibt sein Biograf Harry Niemann. So pumpt der Daimler-Motor bald nicht nur Löschwasser, treibt Maschinen, Straßenbahnen und Boote an, er bringt auch ein kleines Motorrad - den berühmten Daimlerschen "Reitwagen" - und ein Luftschiff in Bewegung. Erst drei Jahre nach der Erfindung bauen Daimler und Maybach ihren 1,5 PS-Motor auch in eine offene Kutsche ein. Viele brave Canstatter Bürger, die "des Teufels Fuhrwerk" erstmals mit eigenen Augen sehen, schreien entsetzt auf, bekreuzigen sich oder flüchten sicherheitshalber in den Straßengraben.
Zusammen mit zwei Kapitalgebern gründet Gottlieb Daimler 1890 die Daimler-Motoren-Gesellschaft DMG. Doch die neuen Kompagnons wollen keine obskuren Motorkutschen entwickeln, sondern mit Daimlers Motor schnelles Geld verdienen. Sie drohen, entweder verlasse er die Firma oder sie würden Konkurs anmelden. Der als Unternehmer inzwischen hoch angesehene Daimler fürchtet den Ruf als Bankrotteur und lässt sich zusammen mit Wilhelm Maybach aus der DMG herausdrängen. Ohne das kongeniale Erfinder-Duo aber bleiben die technischen Weiterentwicklungen aus, so dass eine englische Investorengruppe schon bald darauf die Rückkehr von Daimler und Maybach erzwingen kann. Trotzdem bleibt die Zusammenarbeit mit seinen Mitaktionären für Gottlieb Daimler zermürbend. Immer wieder versuchen sie, ihn finanziell unter Druck zu setzen oder durch Gründung von Konkurrenzunternehmen kaltzustellen.Im Jahr 1899 - inzwischen bauen in Canstatt rund 300 Mitarbeiter jährlich etwa 100 Automobile - entwickelt Wilhelm Maybach einen neuen Prototyp: den Phönix-Wagen. Aus ihm wird später der erste erfolgreiche Mercedes. Daimler will ihn testen. Doch während der Probefahrt erleidet er einen Herzinfarkt und stürzt vom Beifahrersitz. Kurz darauf, am 6. März 1900, stirbt der Konstrukteur des ersten vierrädrigen Kraftfahrzeugs mit Verbrennungsmotor.
Stand: 17.03.09