Stichtag

15. Dezember 2009 - Vor 150 Jahren: Esperanto-Begründer Ludwik Zamenhof geboren

Eine geradezu babylonische Sprachverwirrung herrscht Mitte des 19. Jahrhunderts in dem polnischen Städtchen Bialystok. Jüngst erst vom riesigen Zarenreich vereinnahmt, leben hier nahe der weißrussischen Grenze Polen und Russen, Weißrussen, Deutsche und jiddisch sprechende Juden auf engstem Raum zusammen. Mitten in dieses explosive Vielvölkergemisch hinein wird am 15. Dezember 1859 Ludwik Lejzer Zamenhof als Sohn einer jüdischen Intellektuellenfamilie geboren. Das schwer zu durchdringende Stimmengewirr seiner Heimatstadt prägt den stillen, etwas schmächtig geratenen Ludwik für sein ganzes Leben. Bereits als Jugendlicher beherrscht er acht Fremdsprachen.

"Die Verschiedenheit der Sprachen ist der Hauptgrund der Feindschaft der Völker", glaubt Zamenhof zu erkennen und entwickelt mit 18 Jahren die Idee einer universal wirkenden Friedenswaffe: einer Weltsprache für alle Menschen dieser Erde. Um 1885 veröffentlicht Ludwik Zamenhof, inzwischen zum Doktor der Medizin promoviert, den ersten kompletten Entwurf seiner "Internationalen Sprache". Weil der junge Arzt um seinen Ruf fürchtet, gibt er die 40-seitige Schrift unter dem Pseudonym "Dr. Esperanto" heraus. In seiner Kunstsprache steht "esperanto" für "der Hoffende". Und Zamenhofs Hoffnungen reichen weit: Jeder Ausgabe seines Lehrbuchs fügt er einen Rücksende-Coupon an seine Leser bei, mit einer großen Verpflichtung: "Der Unterzeichnete verspricht hiermit, die von Dr. Esperanto vorgeschlagene internationale Sprache zu erlernen, wenn erwiesen sein wird, dass zehn Millionen Menschen öffentlich dasselbe Versprechen abgegeben haben."

Mit einer simplen Grammatik und einem Stamm von zunächst nur 900 Wörtern macht Zamenhof seinen Schülern das Erlernen der bald Esperanto genannten Neusprache leicht. Weise verzichtet er zudem auf alle Rechte an seinem Werk und fordert seine Anhänger zur freien Nutzung, Veröffentlichung und Fortentwicklung der Sprache auf – ein Konzept, das im Computerzeitalter als "open source" erfolgreich genutzt wird. Vor allem bei den städtischen Intellektuellen des reaktionären Zarenreichs, darunter viele Juden, findet Zamenhofs Idee von der Frieden schaffenden Universalsprache großen Anklang. Während der Esperanto-Begründer bewusst immer weiter in den Hintergrund tritt und bis kurz vor seinem Tod im April 1917 als Augenarzt praktiziert, verbreitet sich Esperanto auch in Westeuropa und Nordamerika.Doch Zamenhofs idealistische Vorstellung von zehn Millionen Esperantisten bleibt ein Traum. In den folgenden, von Nationalismus, Antisemitismus und Weltkriegen geprägten Jahrzehnten zerreist das globale Netz der friedensgesinnten Kunstsprachen-Freunde. Erst nach 1945 findet Esperanto wieder weltweite Verbreitung und wird heute schätzungsweise von rund 500.000 Menschen gesprochen und weiterentwickelt.

Stand: 15.12.09