Bei der feierlichen Eröffnung der Generalstände durch Ludwig XVI. scheint noch alles in Ordnung: Die Vertreter des Adels erscheinen in pompösen Gewändern mit Federhut und Degen, die kirchlichen Würdenträger in ihren vornehmen violetten Roben und die bürgerlichen Abgeordneten des Dritten Standes - auf königliche Anweisung - in schlichtem Schwarz.175 Jahre lang haben es zuvor die absolutistischen Könige in Frankreich nicht nötig, die Delegierten der drei Stände auch nur anzuhören. Doch nun ist der Staat bankrott: Der königliche Hofstaat lebt ständig über seine Verhältnisse, Kriege und Missernten haben zu Hungersnöten geführt. Ludwig XVI. will die Generalstände am 5. Mai 1789 in Versailles lediglich eine neue Steuer beschließen lassen und danach wieder auflösen. Jeder Stand soll getrennt tagen und über eine Stimme verfügen. Dieser Beschluss sichert den Privilegierten von vornherein eine Abstimmungsmehrheit.
Doch es kommt anders: Der hohe Brotpreis hat zu Unruhen geführt. Die bürgerlichen Abgeordneten erscheinen nicht nur mit Beschwerdekatalogen. Sie fordern, die Anzahl der Vertreter des Dritten Standes zu verdoppeln und nach Köpfen - statt nach Ständen - abzustimmen. Während der König die Verdoppelung der bürgerlichen Mandatsträger erlaubt, lässt er das Abstimmungsverfahren absichtlich ungeklärt. Prompt entsteht ein Streit zwischen Aristokratie und Bürgertum, der sich wochenlang hinzieht. Schließlich laufen einige Adlige und Priester zum Bürgertum über. Der so verstärkte Dritte Stand beschließt am 17. Juni, ab sofort allein das Land zu repräsentieren und erklärt sich zur Nationalversammlung. Unter dem Druck der Pariser Bevölkerung akzeptiert Ludwig XVI. die neuen Machtverhältnisse. Das ist der erste Akt der Französischen Revolution von 1789, vier Wochen vor dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli.Stand: 05.05.04