Stichtag

12. April 2009 - Vor 95 Jahren: Leichtathletin Gretel Bergmann wird geboren

Gretel Bergmann ist 22 Jahre alt und gilt als eins der größten Sporttalente Deutschlands. Im Juli 1936, zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele, sitzt die Hochspringerin jeden Tag auf den Stufen ihres Elternhauses in Laupheim und wartet ungeduldig auf den Postboten. Monatelang hat sie trainiert, um im Olympiastadion in Berlin starten zu dürfen. Die offizielle Einladung sollte eine Formsache sein, doch der Brief kommt nicht. Mit der Ungeduld wächst bei Gretel Bergmann die Angst. Allzu wach ist die Erinnerung an jenen Brief, den sie drei Jahre zuvor erhielt, wenige Tage vor ihrem 19. Geburtstag am 12. April. Damals teilte man ihr mit, dass sie in ihrem Ulmer Sportverein nicht mehr willkommen sei. Ihre Mitgliedschaft werde daher mit sofortiger Wirkung gekündigt. Denn Margarete "Gretel" Bergmann ist nicht nur eine Spitzen-Hochspringerin. Sie ist auch Jüdin.

Wie Gretel Bergmann werden im Frühjahr 1933 alle jüdischen Athleten aus deutschen Sportvereinen ausgeschlossen. Die unerwünschte Laupheimerin zögert nicht lange und emigriert nach England. Ein Jahr später gewinnt sie die offene britische Meisterschaft im Hochsprung. In Deutschland gerät Hitler unterdessen immer stärker unter internationalen Druck. Das Ausland fordert die Aufstellung qualifizierter Sportler jüdischen Glaubens für die deutsche Olympiamannschaft. Die USA drohen gar mit einem Boykott der Spiele - eine Blöße, die sich Nazi-Deutschland nicht geben darf. "Und genau hier kam ich ins Spiel", erzählt Gretel Bergmann später. "Ich wurde zur Schachfigur in Hitlers politischem Täuschungsmanöver." Die Nazis brauchen plötzlich dringend "Quoten-Juden" und fordern sie zur sofortigen Rückkehr nach Deutschland auf. Sollte sie sich weigern, werde ihre Familie in Laupheim dafür büßen, lässt man sie wissen.

Gretel Bergmann unterdrückt Wut und Angst und kehrt nach Deutschland zurück. Anfang Juni 1936 schafft sie mit der deutschen Rekordhöhe von 1,60 Meter die Olympia-Qualifikation. Nur zwei weitere Frauen weltweit können so hoch springen; Gretels Start in Berlin scheint damit sicher. Am 15. Juli, zwei Wochen vor Beginn der Spiele, sticht das Schiff der amerikanischen Olympiamannschaft Richtung Deutschland in See. Nur einen Tag später drückt der Postbote in Laupheim Gretel Bergmann endlich den heiß ersehnten Brief in die Hand. Sie liest: "Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben." Wegen angeblicher Unbeständigkeit werde ihr die Aufnahme in die Olympia-Mannschaft verweigert. Für die Mühe der vergangenen zwei Jahren stehe ihr auf Anfrage eine Stehplatzkarte bei den Leichtathletik-Wettkämpfen zu. Heil Hitler!Mit vier Dollar in der Tasche geht Gretel Bergmann im Februar 1937 zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Bruno Lambert ein zweites Mal in die Emigration. Diesmal in die USA, diesmal mit dem Schwur, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Auch in der neuen Heimat gewinnt Gretel Bergmann mehrfach nationale Meisterschaften und nimmt 1942 die US-Staatsbürgerschaft an. Es vergehen über 60 Jahre, bevor sie 1999 als Margaret Lambert erstmals anlässlich einer Preisverleihung nach Deutschland zurückkehrt.

Stand: 12.04.09