Warum erhält ein gerade 28 Jahre alter, den Meisten am Hofe in Lissabon unbekannter Navigator aus der Provinz, ein See-Kommando, das über die gesamte wirtschaftliche Zukunft Portugals entscheidet? Warum nicht der viel erfahrenere Kapitän Bartolomeu Diaz, der 1487/88 als Erster das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas umschifft hat?
Noch heute rätseln die Historiker, welche Gründe König Manuel I. bewogen haben, gerade den Adelsspross Vasco da Gama zu beauftragen, zum Wohle und Nutzen der Krone Portugals den Seeweg nach Indien zu erforschen. Vier Schiffe, schnelle und wendige Karavellen, hat Manuel I. bauen lassen, um im Wettlauf mit Spanien um die Entdeckung der für den Gewürzhandel so wichtigen Ozeanroute mithalten zu können. Den Markt mit Zimt, Muskat, Nelken und Pfeffer kontrollieren Ende des 15. Jahrhunderts Araber, Venezianer und Genuesen. Ihr Handelsmonopol gilt es zu brechen, um das arme Portugal vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren.
Mit etwa 170 Mann Besatzung, darunter die Elite portugiesischer Seefahrer, bricht Vasco da Gama am 8. Juli 1497 zu seiner Reise in die unerforschten Gewässer jenseits des afrikanischen Kontinents auf. Anders als alle Vorgänger navigiert er nicht in Küstennähe. In einem großen Bogen steuert da Gama zunächst kühn westwärts auf den offenen Atlantik und dann mit Hilfe der dort günstigeren Winde direkt auf das Kap der Guten Hoffnung zu. Anfang November passiert die Expeditionsflotte die unberechenbaren Strömungen am Kap und erreicht, bereits schwer von Skorbut gezeichnet, im April 1498 die Handelshäfen an Afrikas Ostküste. Von dort setzt der als Oberkommandierender unumstrittene da Gama in gerader Linie über den Ozean und erreicht am 20. Mai 1498 als erster europäischer Seefahrer das indische Calicut. Damit hat er den ersten Teil seines Auftrags erfolgreich ausgeführt. Am zweiten, dem Knüpfen von Geschäftsbeziehungen und Aufbau von Handelsbeziehungen, scheitert der brutal und undiplomatisch auftretende Seeheld.
Zwanzig Jahre später sind die Zustände in den indischen Besitzungen völlig zerrüttet und die Fähigkeiten des ruhmreichen Admirals erneut gefragt. Ausgestattet mit dem Titel des Vizekönigs von Indien bricht er im April 1524 zu seiner dritten Reise auf. Doch der 54-Jährige ist bereits schwer von Krankheit gezeichnet. Nur drei Monate nach seiner Ankunft stirbt Dom Vasco da Gama am Heiligen Abend 1524 in Cochin. Fast 400 Jahre lang, bis zur Eröffnung des Suezkanals, werden alle europäischen Schiffe in Richtung Osten jener Route folgen, die der portugiesische Navigator entdeckt hat.
Stand: 24.12.09