Deutschland ist verseucht vom "Kleidergift". So jedenfalls sieht es Heinrich Pudor zur Jahrhundertwende. "Unsere großstädtischen Korsettläden sind in der Tat das Schweinischste, Unsittlichste, was sich denken lässt", schreibt der Publizist 1906 in seinem Buch "Nackte Menschen. Jauchzen der Zukunft". Das einzige Mittel, was hier helfen könne, sei, "eine Liga zu gründen, deren Mitglieder sich verpflichten, jedes Frauenzimmer, das ein Korsett trägt, auf offener Straße als Hure auszuzischen".
Die Anfänge der Freikörperkultur in Deutschland sind weniger aggressiv. Ende des 19. Jahrhunderts treffen sich die "Walhalla" oder "Hellas" genannten Nackt-Logen in Privaträumen, später in sorgsam von der Öffentlichkeit abgeschirmten Gärten. 1906 gibt es bereits 150 "Luftbäder" in Deutschland. Da laut Pudor "mit dieser verlogenen und verschmutzten Kleidersitte Alkohol, Nikotin und Aas eng verbunden sind", soll äußere Nacktheit dort mit innerer Reinheit kombiniert werden: Drogenkonsum und Fleischverzehr sind verboten. In den 20er Jahren findet die Freikörperkultur mit Zeitschriften wie "Lachendes Leben" oder "Kraft und Schönheit" gleich mehrere Foren. Unterstützt wird der Trend von Ärzten, die zu viel und allzu enge Kleidung als gesundheitsschädlich einstufen.Zum Ende der Weimarer Republik zählt die Freikörperkultur rund 100.000 Mitglieder, die sich in einem eher sozialistisch und einem eher bürgerlich ausgerichteten Dachverein organisieren. Auch wenn bereits Pudor der Hang zur Freikörperkultur als wirksames Mittel galt, um ein "starkes, zähes, ausdauerndes, hartes, lebensfähiges Volk" hervorzubringen, dessen "Rasse verbessert wird", ist die nackte Freiheit außerhalb der staatlichen Ordnung den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. 1934 werden die beiden Verbände im "Kampfring für völkische Freikörperkultur" gleichgeschaltet. Später wird dieser in "Bund für deutsche Leibeszucht" umbenannt.
Am 6. November 1949 gründet sich in Kassel der Deutsche Verband für Freikörperkultur (DFK), der sich bewusst an die Tradition der Weimarer Republik anschließen will. 1956 wird die FKK-Zeitschrift "Sonnenfreunde" offizielle Mitgliedszeitschrift; fünf Jahre später wird der gemeinnützige Verein korporatives Mitglied der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG). Seit 1963 ist der Verband Teil des Deutschen Sportbundes (DSB).Heute hat der DFK, der zur Internationalen Naturisten-Föderation (INF) gehört, rund 45.000 Mitglieder, die sich auf rund 160 FKK-Vereine in neun Landesverbänden verteilen. Ähnlich wie sein internationaler Dachverband, arbeitet er kräftig auf seine eigene Auflösung hin. Laut Vereins- und Verbandssatzungen nämlich erklären sich alle Vereine des INF ab jenem Zeitpunkt für überflüssig, an dem die Nacktheit in einen überall akzeptierten Allgemeinzustand übergeht.
Stand: 06.11.09