Fünf Jahre lang besucht Karl Marx in Trier das Gymnasium. Dann will der 17-Jährige Rechtswissenschaften studieren und stellt sich im Spätsommer 1835 der Reifeprüfung. Dabei muss er hohe Anforderungen erfüllen, die erst seit kurzem gelten: "Jeder Schüler, welcher sich einem Berufe widmen will, für den ein drei- oder vierjähriges Universitätsstudium vorgeschrieben ist, muss sich vor seinem Abgange zur Universität einer Maturitätsprüfung unterwerfen", verlangt das Reglement des preußischen Ministeriums für Unterrichtsangelegenheiten vom 4. Juni 1834. In Preußen und bald darauf im gesamten Deutschen Bund gilt: Ohne bestandene Prüfung kein Studium. Vorbei die Zeit, als Adel und Großbürgertum ihre Söhne auch ohne Prüfung auf die Universität schicken konnten. Dies war nach den ersten preußischen Abiturreglements von 1788 und 1812 durchaus noch möglich.
Doch Marx muss nun einen schriftlichen Prüfungsmarathon von sieben Arbeiten durchlaufen: ein deutscher und ein lateinischer Aufsatz, eine Mathematik-Arbeit, zwei Übersetzungen deutscher Texte ins Lateinische und Französische, eine Übersetzung eines griechischen Textes ins Deutsche sowie - aufgrund einer Sonderregelung für die Rheinprovinz - eine Religionsarbeit. Einen Monat später folgen die mündlichen Prüfungen in diesen Fächern. Marx besteht als einer der Ersten die neue Prüfung."Auslöser für die Neuordnung des Abiturs war die Sorge vor einer Überfüllung der Universitäten und daraus resultierend vor einem allzu großen Andrang in den Staatsdienst", erklärt Bildungshistoriker Rainer Bölling. "Die Verbindlichkeit des Abiturs sollte diesen Zustrom eindämmen." So geht die Zahl der Studenten auch erst einmal deutlich zurück. Bereits 1836 gibt es Klagen über eine zu große Belastung der Schüler. Medizinalrat Karl Lorinser kritisiert in einer Fachzeitung: "Die Gesundheit und Lebenstüchtigkeit der Gymnasiasten nimmt durch die Vielzahl der Unterrichtsgegenstände massiv Schaden." Das preußische Kultusministerium reagiert und fordert die Lehrer auf, "die einzelnen Anforderungen an die Abiturienten so zu ermäßigen, dass jeder Schüler von hinreichenden Anlagen und von zugehörigem Fleiß der letzten Prüfung mit Ruhe und ohne ängstliche Vorbereitungsarbeit" entgegen sehen könne.
Schon bald erweist sich der altsprachliche Wissensdrill als realitätsfern. Mit der Industrialisierung bekommt das Abitur am humanistischen Gymnasium Konkurrenz. Oberrealschule und Realgymnasium bieten mit neuen Fremdsprachen und Naturwissenschaften zeitgemäßere Inhalte. Nach Kompetenzstreitigkeiten werden diese Schulformen Ende des 19. Jahrhunderts gleichberechtigt.
Stand: 04.06.09