Psychisch auffällige Menschen gelten lange Zeit als "irrsinnig". Im Mittelalter werden sie in Narrentürmen und Tollhäusern eingekerkert, wo Folter sie zur Vernunft bringen soll. Im 17. und 18. Jahrhundert setzt sich dann allmählich die Auffassung durch, dass diese Menschen nicht "besessen", sondern krank sind. Geistige Krankheiten werden zunächst auf Störungen im Gehirn zurückgeführt. Dann vertritt der österreichische Arzt Sigmund Freud Ende des 19. Jahrhunderts einen anderen, einen revolutionären Ansatz: Er sucht die Ursachen für psychische Störungen in der Seele - und nicht im Hirn. Freud will Menschen helfen, das eigene Ich zu erkennen und zu stärken. Er gehe davon aus, erklärt der Psychoanalytiker und Freud-Kenner Thomas Auchter, "dass das menschliche Handeln Sinn macht - egal wie verzerrt, egal wie pathologisch." Dem Psychoanalytiker gehe es darum, "möglichst viel von diesem inneren Sinn herausbekommen und dem Menschen selber zugänglich zu machen".
Sigismund Freud wird am 6. Mai 1856 im mährischen Freiberg in verwickelte Familienverhältnisse hineingeboren. Sein Vater ist ein mittelloser jüdischer Wollhändler, der aus erster Ehe zwei erwachsene Söhne hat. Freuds Mutter ist die dritte Ehefrau des Vaters. Sigismund ist der Liebling seiner Mutter und darf als einziges von acht Geschwisterkindern auf das Gymnasium gehen. Mit 17 Jahren nimmt er in Wien sein Medizinstudium auf. Freud promoviert, erforscht die Anatomie des Gehirns sowie die schmerzstillende Wirkung von Kokain. Der herrschende Antisemitismus verhindert allerdings eine Universitätslaufbahn. 1886 heiratet der Arzt Martha Bernays, die Tochter einer jüdischen Hamburger Familie, und eröffnet eine Praxis für Neurologie in Wien.
Freud hört meistens nur zu, während seine Patienten über ihre psychischen Zustände berichten. Sie machen sich auf der Couch auf die Suche nach den ins Unbewusste verdrängten Gedanken, von deren Symptomen sie gequält werden. Freud begründet aus seinen Erfahrungen die Psychoanalyse und entwickelt ein Persönlichkeitsmodell, das bis heute gültig ist. Demnach kämpfen unter der Oberfläche der Normalität im Inneren jedes Menschen drei Instanzen um die Vorherrschaft in der Seele: das größtenteils bewusste Ich, das triebhafte und unbewusste Es und das Über-Ich, also die verinnerlichten Werte aus Erziehung und gesellschaftlichen Normen.Freuds eigenes Leben verläuft zunächst relativ friedlich. Seine Frau Martha hütet die sechs gemeinsamen Kinder und hält ihm den Rücken frei. Doch dann erkrankt der Zigarrenraucher an Gaumenkrebs. 1923 werden ihm deshalb der rechte Oberkiefer und Gaumen operativ entfernt sowie eine Prothese eingesetzt. Freuds Sprechvermögen wird stark beeinträchtigt. Weitere Operationen folgen, ohne die Krankheit stoppen zu können. Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich durch die Nazis geht Freud im Juni 1938 mit seiner Familie nach London ins Exil, wo er ein Haus im Stadtteil Hampstead bezieht. Dort stirbt er am 23. September 1939 im Alter von 83 Jahren nach einer Spritze mit einer von ihm gewünschten tödlichen Dosis Morphium.
Stand: 23.09.09