Im Juni 1984 finden in der Normandie die Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag der Landung der Westalliierten im Zweiten Weltkrieg statt - zum Unmut von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU ) ohne deutsche Delegation. Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand will die Wogen glätten und lädt Kohl deshalb zu einem versöhnlichen gemeinsamen Auftritt bei Verdun ein. Beide haben eine persönliche Verbindung zu dem Ort, der zum Inbegriff mörderischer deutsch-französischer Grabenkämpfe geworden ist: Kohls Vater kämpfte im Ersten Weltkrieg bei Verdun, Mitterrand wurde dort im Zweiten Weltkrieg verwundet und gefangengenommen. Am 22. September 1984 besuchen die beiden Politiker mit großem Gefolge einen deutschen und einen französischen Soldatenfriedhof. In Kohls Begleitung ist auch der umstrittene Schriftsteller Ernst Jünger, der 1920 in seinem Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" emotionslos seine Erlebnisse an der Westfront geschildert hat.
Zuerst legen Kohl und Mitterrand bei Consenvoye Kränze für deutsche Soldaten nieder, dann fliegen sie mit dem Hubschrauber zum wenige Kilometer entfernten französischen Militärfriedhof beim Fort Douaumont. Die französische Verteidigungsanlage war 1916 während der zehn Monate dauernden Schlacht von Verdun heftig umkämpft. Zuerst wurde das Fort von deutschen Truppen eingenommen, dann von den französischen Truppen unter schweren Verlusten zurückerobert.Als Zeichen der überwundenen "Erbfeindschaft" spielt eine französische Militärkapelle das Deutschlandlied, dann intoniert ein Musikzug der Bundeswehr die Marseillaise. Kohl und Mitterrand gehen zum Beinhaus, wo die sterblichen Überreste von rund 130.000 Soldaten ruhen. Vor einem sogenannten Katafalk - einem Gerüst, auf dem ein Sarg aufgebahrt ist - bleiben sie stehen. Es kommt zu einer symbolischen Geste: "Ohne dass es geplant war, ergriff François Mitterrand meine Hand, und wir verharrten beide lange Hand in Hand", notiert Kohl später in seinen "Erinnerungen".
In einer gemeinsamen Erklärung betonen Mitterrand und Kohl den "Geist der Brüderlichkeit". Sie seien in Verdun zusammengekommen, um sich vor den Gräbern der in zwei Weltkriegen gefallenen Söhne Frankreichs und Deutschlands zu verneigen. Die beiden Länder hätten aus der Geschichte ihre Lehre gezogen: "Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden." Die beiden Völker hätten "unwiderruflich den Weg des Friedens, der Vernunft und der freundschaftlichen Zusammenarbeit eingeschlagen". Als Ausdruck dieser Zusammenarbeit haben vor der Gedenkfeier deutsche und französische Truppen gemeinsame Manöver östlich von Verdun abgehalten. Die 36-stündige Panzerübung war kurzfristig angesetzt worden und fand außerhalb eines Truppenübungsplatzes statt - ohne erkennbare Vorbehalte in der Bevölkerung. Das könnte aber vielleicht auch daran gelegen haben, dass Beamte der französischen Militärverwaltung Manöverschäden von bis zu 8.000 Francs umgehend an Ort und Stelle beglichen.
Stand: 22.09.09