"In den meisten Gefängnissen ist der verzweifelte Mann eine Ausnahme. In Alcatraz ist er die Regel. In Alcatraz verliert er jede Hoffnung", heißt es in der Autobiographie "Hellcatraz" von Posträuber Roy Gardner. Mitte der 1930er Jahre sitzt er als einer der ersten Sträflinge auf der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco ein. Der Ausbruchskünstler kapituliert. Sein bisheriges Leben ist eine einzige Flucht: Geboren am 5. Januar 1884 (nach anderen Quellen 1886) auf einer Farm im US-Bundesstaat Missouri ist er zunächst als Gelegenheitsarbeiter unterwegs, dann geht er als Infanterie-Rekrut zur Armee. 1906 desertiert er und setzt sich nach Mexiko ab, wo er für Rebellen Waffen schmuggelt. Dabei wird er gefasst und zum Tod verurteilt.
Doch Gardner gelingt es, zusammen mit anderen Gefangenen die Zellentür aufzubrechen. Er flieht nach San Francisco: "Ich stand da, beobachtete die Leute - und plötzlich stach mir ein Schaufensterschild ins Auge: Juwelier und Uhrmacher. Ich dachte an meinen letzten Dollar in der Tasche und ging hinein." Mit einer Hand voll Diamanten versucht Gardner zu entkommen, aber er wird abermals gefasst und inhaftiert. Als er im Staatsgefängnis San Quentin einem Wärter das Leben rettet, wird er begnadigt. Sein Leben kommt scheinbar in ruhigere Bahnen: Er nimmt einen Job als Schweißer an, heiratet eine Kellnerin namens Dolly und bekommt mit ihr eine Tochter. Doch als Gardner 1920 auf einer Dienstreise in San Diego sein ganzes Vermögen verspielt, endet sein bürgerliches Leben abrupt. Er begeht einen Postraub: "Ich war verzweifelt und hatte einfach nicht den Mut, meiner Frau zu gestehen, dass wir pleite waren." Gardner erbeutet Devisen und Wertpapiere im Wert von 131.000 Dollar. Er vergräbt seinen Schatz, hinterlässt in der Eile jedoch Spuren - darunter einen Koffer mit seinem Namen. Dafür wird er zu 25 Jahren Haft auf McNeil Island im Staat Washington verurteilt. Es ist eine Art Vorläufer des Hochsicherheitsgefängnisses Alcatraz.
Noch im Gerichtssaal schwört Gardner, dass er die Strafe nicht absitzen wird. Auf dem Transport zur Gefängnisinsel lenkt er die Wachen mit einem Trick ab: "Seht mal, was für ein großer Hirsch da draußen!" Er überwältigt sie und springt in die Freiheit. Über eine Million Dollar erbeutet er während seiner Gangsterkarriere. Dann landet er doch auf McNeal Island - aber nur für kurze Zeit. Während eines Baseballspiels flüchtet er als erster Gefangener von der Insel. Auf seinen Kopf werden 5.000 Dollar Belohung ausgesetzt. Als er gefasst wird, kommt er in Einzelhaft, dann in die Psychiatrie und schließlich auf die neue Gefangeneninsel Alcatraz. Dort wird Gardner schwermütig. Dolly verlässt ihn und heiratet einen anderen. 1938 wird er begnadigt und zieht nach San Francisco. Dort arbeitet er in einem kleinen Hotel, hält Vorträge, schreibt ein Buch und dreht einen Film mit einem Zugbegleiter, der einmal sein Opfer war. Zum geplanten Hollywood-Streifen kommt es nicht mehr: Am 10. Januar 1940 liegt er tot in seinem Hotelzimmer. Roy Gardner hat sich mit Zyanid vergiftet. In seinem Abschiedsbrief steht: "Ich bin zum Untergang verdammt. Das Herz eines Mannes, der Streifen tragen muss, ist gebrochen."
Stand: 05.01.09