Neben Ludwig Erhard (CDU) gilt Karl Schiller (SPD) als einer der profiliertesten Wirtschaftspolitiker der Bundesrepublik. Eitel, aber brillant - so beschreiben ihn Gegner und Weggefährten gleichermaßen. Er schafft in den 1960er und 1970er Jahren Sprachbilder, die Allgemeingut werden: "Talsohle der Konjunkturentwicklung", "Aufschwung nach Maß", "Politik über den Tellerrand hinaus", "Wahltag ist Zahltag". Schiller stammt aus einfachen Verhältnissen. Am 24. April 1911 in Breslau geboren, wächst er in Kiel auf, wo ihn seine Mutter allein erzieht. Der Musterschüler schafft das Abitur mit Bravour und studiert Wirtschaftswissenschaften während der Nazi-Zeit. Als Volkswirt am Institut für Weltwirtschaft in Kiel schreibt er Studien zur Autarkie-Politik und analysiert Auslandsmärkte. 1937 tritt er in die NSDAP ein. Den Antrieb dafür sieht Schiller-Biograph Matthias Hochstätter in Schillers Ehrgeiz, mit dem er sich hocharbeitet: "Die Anpassung und Karrieresucht Schillers werden so zwar nicht entschuld-, aber erklärbar."
1946 tritt Schiller in die SPD ein und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Sozialdemokraten einen "Dritten Weg" zwischen Planwirtschaft und purem Kapitalismus suchen. Schillers Vorbild ist dabei der englische Nationalökonom John Maynard Keynes, der seit den 1930er Jahren die Auffassung vom aktiven Staat vertritt, der in konjunkturellen Krisen den Aufschwung durch gezielte Programme anstoßen will. Schiller packt die Idee in die Formel: "So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig!" Für Schiller geht es bergauf: Wirtschaftssenator in Hamburg und Berlin, dazwischen Rektor der Universität Hamburg. Der Karriere-Höhepunkt kommt mit der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU): 1966 wird Schiller Wirtschaftsminister - und agiert Seite an Seite mit Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU). Wegen ihrer reibungslosen Zusammenarbeit werden die beiden in einer Karikatur als "Plisch und Plum" dargestellt - nach Wilhelm Buschs frechem Hundepaar.
In der damals herrschenden Rezession setzt Schiller Keynes Idee von der aktiven Wirtschaftspolitik um. Er legt staatliche Investitionsprogramme auf und schafft das Stabilitätsgesetz. Es hat das Ziel, das sogenannte Magische Viereck - also Wachstum, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht - zu erreichen. In der sogenannten Konzertierten Aktion holt Schiller die Tarifpartner an einen Tisch, um sie auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Gewerkschafter wie IG-Metall-Chef Eugen Loderer sind aber über die Gängelung am "Runden Tisch" nicht erfreut: "Für die Unternehmer ist die Konzertierte Aktion nichts anderes, als den Staat in die Funktion einer industriellen Feuerwehr zu zwingen, um ihre Gewinnerwartungen sicherzustellen."Schillers Ansehen schadet die Kritik nicht. Im Kabinett von Willy Brandt (SPD) übernimmt er 1971 auch noch das Finanzressort und wird zum ersten "Super-Minister" der Bundesrepublik. Damit wachsen allerdings auch die Vorbehalte gegen ihn. Unter Kabinettskollegen sei Schiller "sehr unbeliebt" gewesen, sagt Karl-Otto Pöhl, damals Schillers Staatssekretär und später Bundesbank-Präsident. "Weil er sehr arrogant war, und die Minister sehr geschurigelt hat." Hartnäckig weigert sich Schiller, kostspielige Reformprojekte mit Steuererhöhungen zu bezahlen. 1972 tritt er aus Protest von seinen Ämtern zurück, verlässt die SPD und macht Wahlkampf für Brandts Kontrahenten Rainer Barzel (CDU). Acht Jahre später nimmt er seine SPD-Mitgliedschaft wieder auf und äußert sich immer wieder zu wirtschaftspolitischen Tagesfragen. Schiller stirbt am 26. Dezember 1994 im Alter von 83 Jahren in Hamburg.
Stand: 26.12.09