Stichtag

30. Januar 2009 - Vor 140 Jahren: Bismarck prägt den Begriff Reptilienfonds

Im Januar 1869 gibt es Streit im Preußischen Abgeordnetenhaus. Die Opposition ist entrüstet. Der Anlass: eine Gesetzesvorlage der Regierung. Damit will Ministerpräsident Otto von Bismarck nachträglich die rechtliche Zustimmung zu einem eigenmächtigen Vorgehen einholen. Er hat das gesamte Vermögen der beiden im "Deutschen Bruderkrieg" 1866 besiegten Herrscher von Hannover und Kurhessen beschlagnahmt. "Das war widerrechtlich", sagt Historiker Ulrich Lappenküper von der Bismarck-Stiftung. Denn nach dem damaligen Rechtsempfinden seien die Fürsten von Gottes Gnaden eingesetzt gewesen. "Preußen [...] hat deshalb als Zeichen der Wiedergutmachung die Fürsten zu entschädigen versucht." Doch dieser Versuch hat unbeabsichtigte Folgen. König Georg V. von Hannover und Kurfürst Friedrich Wilhelm streichen zwar die Apanage ein. Sie finanzieren aber im Exil mit dem Geld Proteste gegen Preußen. Denn mit ihrer Entmachtung wollen sie sich nicht abfinden. "König Georg hat eine eigene Zeitung in Frankreich gegründet, um gegen Preußen zu wettern", so Prof. Lappenküper.

Bismarck hat genug von den "feindlichen Umtrieben", wie er sie nennt, und will den Spieß umdrehen. Er bekämpft die Fürsten mit deren eigenem Geld. Bei einer Rede im Preußischen Landtag am 30. Januar 1869 ruft der spätere "Eiserne Kanzler" den Abgeordneten zu: "Wir verdienen Ihren Dank, wenn wir uns dafür hergeben, bösartige Reptilien zu verfolgen bis in ihre Höhlen hinein, um zu beobachten, was sie treiben." Mit der Mehrheit der regierungstreuen Abgeordneten der Konservativen und der Nationalliberalen genehmigt der Landtag die Enteignung und die Einrichtung eines sogenannten Reptilienfonds. Daraus bezahlt Bismarck regierungsfreundliche Zeitungen. Schon bald wird der Begriff deshalb umgedeutet. Mit Reptilien sind fortan nicht mehr feindliche Spione, sondern preußenfreundliche Journalisten gemeint. Bismarck ist pikiert, dass seine Wortschöpfung mit einem anderen Inhalt besetzt wird. Vor dem Reichstag sagt er 1876: "Nun hat man das Wort umgewendet und nennt Reptile gerade diejenigen, die das aussprechen, was die Regierung will."

Der Reptilienfonds, also das Vermögen des 1866 unterlegenen welfischen Königshauses, wird in Schuldverschreibungen angelegt. Diese werfen pro Jahr rund 600.000 Goldtaler (rund elf Millionen Euro) ab. Die Opposition stört nicht nur die Enteignung der gestürzten Fürsten, sondern vor allem, dass Bismarck über das Geld völlig frei verfügt. Sie wirft der Regierung "Korruption" und "Dekadenz" vor. Empfänger von Zahlungen aus dem Fonds sind nicht nur Journalisten. So erhält etwa Märchen-König Ludwig II. von Bayern ebenfalls Schmiergeld - zum Dank, dass er 1871 der Reichsgründung zugestimmt hat.

1892 wird das Welfenvermögen den Eigentümern zurückgegeben und der Reptilienfonds aufgelöst. Doch als politisches Instrument existiert er weiter. Bekannt wird Bundeskanzler Konrad Adenauers (CDU) Haushaltstitel 300: "Als Adenauer beispielsweise vor der erfolgreichen Bundestagswahl 1953 in die USA fährt, erhält jeder Journalist, der mitreist, 3.000 Mark für die Reisekosten und die Spesen", sagt der Giessener Medienhistoriker Prof. Frank Bösch. Noch heute gibt es einen solchen Haushaltstitel: Er hat die Nummer 52904 und steht "zur Verfügung der Bundeskanzlerin zu allgemeinen Zwecken" - ohne parlamentarische Kontrolle. Angela Merkel (CDU) hat jährlich 102.000 Euro zur freien Verwendung. Was sie damit tut, erfährt nur einer: der Präsident des Bundesrechnungshofes.

Stand: 30.01.09