Tausende muslimische Frauen und Mädchen demonstrieren im Januar 2004 in Frankreich gegen das geplante Kopftuchverbot. Sie sagen, ihnen zu verbieten, den Schleier zu tragen, hieße, ihnen die Identität zu nehmen. Am 17. Dezember 2003 hatte Staatspräsident Jacques Chirac verkündet: "Ich bin der Meinung, dass das Tragen von Kleidung oder Zeichen, die einen direkten Rückschluss auf die Religionszugehörigkeit zulassen, in staatlichen Schulen verboten werden muss. [...] Auffällige Zeichen wie das islamische Kopftuch, die Kippa oder ein großes Kreuz haben in der Schule nicht ihren Platz. Die staatliche Schule bleibt laizistisch." Viele der fünf Millionen Muslime in Frankreich sind empört. Doch am 10. Februar 2004 segnet die Parlamentsmehrheit das Gesetz ab: Das Tragen von auffälligen religiösen Zeichen ist in der Schule fortan verboten. Denn seit dem 9. Dezember 1905 gilt das Gesetz der Laizität als zentrales Fundament der Französischen Republik: die Trennung von Staat und Kirche. "Die Laizität ist ein Grundpfeiler der Politik, kein Politiker wagt es, dies in Frage zu stellen", sagt der auch in Deutschland lehrende französische Politologe Henri Menudier. Den Konflikt um die Laizität hatte die Französische Republik bereits ein Jahrhundert zuvor mit der katholischen Kirche ausgefochten. Damals wie heute wird der Streit in der Schule ausgetragen.
Krieg zwischen weltlicher und kirchlicher Macht
1789 entreißen die Revolutionäre der katholisch-konservativen Elite die Macht. Unter dem Terror-Regime werden Kirchen ausgeraubt, Angehörige des Klerus sterben unter der Guillotine: Es herrscht Krieg zwischen weltlicher und kirchlicher Macht, "la guerre des deux France - der Krieg der zwei Frankreiche". Nach einer erneuten Blütezeit der katholischen Kirche unter Napoleon Bonaparte, der den Katholizismus als Religion der "großen Mehrheit der französischen Bürger" anerkennt, erstarken die Antiklerikalen wiederum am Ende des 19. Jahrhunderts. 1881 schreibt der Autor und Atheist Léo Taxil die "Marseillaise anticléricale" – eine Hasstirade auf die "infame schwarze Clique": "An die Urnen, Bürger, gegen den Klerus! Lasst uns wählen, auf dass unsere Stimmen die Raben verscheuchen!"
1882 will der antiklerikale Republikaner und Bildungsminister Jules Ferry "die Seele der Jugend" der Kirche entreißen und bringt ein Gesetz zur "Laizisierung der Schulen" auf den Weg. In einem Brief gibt er den Lehrern klare Anweisungen: "Die religiöse Bildung ist Sache der Familie und der Kirche, die moralische Bildung die der Schule."
"Kein Kult wird von der Republik anerkannt"
Nach dem Sieg des linken Blocks bei den Parlamentswahlen 1902 besiegelt das Gesetz vom 9. Dezember 1905 die Trennung von Kirche und Staat. Im ersten Artikel heißt es: "Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Ausübung der Kulte mit den nachstehenden Einschränkungen, die im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassen wurden." In Artikel 2 folgt der Knackpunkt: "Kein Kult wird von der Republik anerkannt, vergütet oder unterstützt." Der amtierende Papst Pius X. ist entsetzt. Am 11. Februar 1906 erlässt er die Enzyklika "Vehementer Nos": "Wir verdammen das in Frankreich beschlossene Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche als eine schwerwiegende Beschimpfung Gottes, den es offiziell verwirft, indem es das Prinzip der Nichtanerkennung der Kulte festschreibt." Das Gesetz zur Laizität gilt bis heute. Von den Franzosen wird es nicht nur respektiert, sondern als Errungenschaft und Fundament der Französischen Republik anerkannt.
Stand: 09.12.10