Jean Genet wird im Laufe seines Lebens vieler Verbrechen angeklagt: Wiederholter Diebstahl, unerlaubter Waffenbesitz, Betrug, Fälschung, Landstreicherei und Desertion aus der französischen Armee werden ihm vorgeworfen. Immer wieder sitzt er im Gefängnis, insgesamt fast vier Jahre. Auf die Frage, warum er - angesichts dieser kriminellen Karriere und anders als viele seiner Romanfiguren - nicht auch noch zum Mörder geworden ist, antwortet der Schriftsteller: "Wahrscheinlich, weil ich meine Bücher geschrieben habe. Die Idee eines Mordes kann schön sein. Der wirkliche Mord ist etwas anderes." Seine Werke sind eine Zumutung: Schweiß, Sperma, Exkremente, dazu Diebe, Zuhälter und Asoziale – alles eingebunden in prunkvollste Satzgebilde. Das bringt dem Schriftsteller Pornographievorwürfe, Publikationsverbote in den USA und einen Zensurprozess in Deutschland ein. Die literarische Qualität seiner Werke ist jedoch immer unbestritten. Genets Entdecker, der Schriftsteller Jean Cocteau, sagt über ihn: "Schrecklich, obszön, unpublizierbar, unvermeidlich. Es bringt mich auf, stößt mich ab und verzaubert mich." Genet nennt seine Figuren "Luchse und Füchse in Menschengestalt". Er betrachtet die kriminelle Laufbahn und seine Schreiberei als Rache am Schicksal: "Das Problem des Bösen, des Verwerflichen … ist für mich zu einem Problem geworden, weil das Dasein mich in die Zwangslage gebracht hat, das Böse zu leben."
Außenseiter in der Gesellschaft
Denn schon im Windelalter stößt ihn die Gesellschaft aus, wie die Schriftstellerin Marieluise Fleißer in einem Aufsatz bemerkt. Jean Genet wird am 19. Dezember 1910 in Paris geboren - und im Alter von sieben Monaten der öffentlichen Fürsorge übergeben. Mutter und Vater lernt er nie kennen. Genet wächst in der zentralfranzösischen Region Morvan bei Bauern auf, deren Intellekt er weit übersteigt. In der Dorfschule gehört er zu den Besten, sein Lehrer trägt einen seiner Aufsätze in der Klasse vor. "Mein Haus". Ein Schlüsselerlebnis, wie Genet später schreibt. "Alle machten sich lustig über mich und sagten: 'Das ist aber nicht sein Haus, er ist ein Pflegekind.' Und plötzlich öffnete sich vor mir eine solche Leere. … Auf einmal war ich so ein Fremder. … Vielleicht bin ich ein Schwarzer, der weiß oder rosa ist." Er rebelliert früh gegen die Gesellschaft, die ihm keinen Platz einräumt: Mit zehn Jahren beginnt er zu stehlen, mit 13 verlässt er die Pflegeeltern und verbringt bald mehr Zeit im Jugendknast als in Freiheit. Immerhin kann er im Gefängnis unter den anderen Gesetzesbrechern erstmals seine Homosexualität ausleben. Im Alter von 30 Jahren, wieder im Gefängnis, entdeckt er endlich ein Ventil, um sein Außenseitertum zu verarbeiten: das Schreiben.
"Ihr aber seid fett"
Im Mittelpunkt seines ersten Prosawerks "Notre-Dame-des-Fleurs" stehen ein Mörder und ein Transvestit, der zum begehrtesten Strichjungen des Pariser Montmartre aufsteigt. Das illegal gedruckte Buch kursiert nur im Untergrund. Förderer Jean Cocteau, selbst homosexuell, tut alles, um Jean Genet, dem wegen seiner zahlreichen Delikte eine lebenslange Haftstrafe droht, aus dem Gefängnis freizubekommen. Endlich tritt der 33-Jährige im Mai 1944 im Pariser Café de Flore an den Tisch von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Sie erinnert sich in ihren Memoiren: "Rasierter Schädel, verkniffene Lippen, misstrauischer, fast aggressiver Blick – wir sahen einen harten Burschen vor uns." Ein harter Bursche, der ohne Provokation nicht leben kann: Er ruft zu Revolution und Gewalt auf, verteidigt Terrorakte und die deutsche Rote Armee Fraktion. Seine Bücher - Romane, Theaterstücke und Gedichte - bringen ihm Ruhm ein, vor allem "Querelle", eine Geschichte über Mord, Verrat und Liebe unter Seeleuten. 1982 verfilmt Rainer Werner Fassbinder das Werk. Mit dem Erfolg des Films kommt Genet 1983 nach West-Berlin – und provoziert wieder. "Früher waren die Deutschen stark", sagt er. "Ihr aber seid fett." Jean Genet stirbt 1986 im Alter von 76 Jahren in einem schäbigen Pariser Hotelzimmer an Kehlkopfkrebs.
Stand: 19.12.10