Stichtag

14. September 2010 - Vor 495 Jahren: Die Schweiz beginnt ihren Weg zur Neutralität

Trotz fehlender Rohstoffe gehört die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt. Wie das kommt? - Durch die Neutralität, die dem Land über Jahrhunderte den Frieden gesichert hat. Das glauben zumindest die meisten Schweizer. Nach einer Umfrage sind bis heute über 90 Prozent von ihnen "stolz" oder "sehr stolz" auf die Schweizer Neutralität. Deren offizielle Geschichte beginnt im 16. Jahrhundert nach der Schlacht von Marignano: Bis dahin waren die Eidgenossen dafür bekannt, dass sie ihre jungen Männer als Söldner an ausländische Herrscher ausleihen. Auch diesmal kämpfen sie zunächst im Fremdauftrag und erobern für den Papst das Herzogtum Mailand. Doch der Papst ist weit weg und die Gelegenheit günstig - die Schweizer machen auf eigene Rechnung weiter und wollen sich als Machtfaktor in Norditalien etablieren. Doch der Traum währt nur kurz: Am 14. September 1515 erleiden die Schweizer Fußtruppen bei Marignano vor den Toren Mailands eine verheerende Niederlage.

Aus der Not geboren

Damals wird der erzwungene Rückzug aber noch nicht als Beginn der Neutralität interpretiert. Das Land ist schlicht zu schwach für weitere Kriege. Durch die bald darauf einsetzende Reformation spaltet sich die Eidgenossenschaft zudem in protestantische und katholische Kantone. An gemeinsame militärische Aktionen ist nicht mehr zu denken. Um die Einheit zu wahren, halten sich die Eidgenossen später vom großen europäischen Religionskonflikt, dem Dreißigjährigen Krieg, fern. Dadurch machen sie gute Geschäfte mit Lebensmitteln, die sie ins ausgehungerte Deutschland exportieren. Von nun an gilt Neutralität nicht mehr als Zeichen der Schwäche, sondern ist positiv besetzt. Die "Tagsatzung", die Versammlung der Schweizer Kantonsdelegierten, erklärt 1674 erstmals offiziell: "... dass wir uns als ein Neutral Standt halten und wohl versorgen wollen!" Die Schweizer bewahren sich ihre Neutralität im Schutz der Berge und einer Verteidigungsarmee jahrhundertelang erfolgreich. Abgesehen von einigen Jahren der Besetzung durch Napoleons Truppen ab 1798 wird das Land nicht mehr angegriffen. Auf dem Wiener Kongress im Jahr 1815, nach Napoleons Niederlage, garantieren die europäischen Großmächte der Schweiz "immerwährende und bewaffnete Neutralität".

"Moralische Überlegungen vermieden"

Die Schweiz bleibt relativ arm, bis der Erste Weltkrieg ihr glänzende Geschäfte mit beiden Seiten ermöglicht. Erstmals wird das Land ein sicherer Hafen für ausländische Vermögen, und einzelne Exportindustrien wachsen. Zwischen den Weltkriegen steigt die Schweiz zum Industrieland mit erfolgreichen Maschinenbau- und Waffenfirmen auf. 1939 tritt dann der Ernstfall ein: Die deutsche Wehrmacht überfällt ganz Mitteleuropa - bis auf die Schweiz. Der Grund dafür seien die Neutralität und die starke eidgenössische Armee, sagt die schweizerische Propaganda. Tatsächlich aber hat Adolf Hitler keinen Grund anzugreifen, denn der Nachbar ist ohnehin Teil des deutschen Wirtschaftsraums: Die Schweiz liefert den Nazis Waffen und Präzisionsmechanik. Vor allem aber wäscht die Schweizer Nationalbank geraubtes Zentralbank-Gold aus den besetzten Ländern und das konfiszierte Gold jüdischer Nazi-Opfer. Deutschland erhält dafür Schweizer Franken und kauft wiederum kriegswichtige Rohstoffe auf dem Weltmarkt. Nach dem Krieg kehrt die offizielle Schweiz die enge Zusammenarbeit mit den Nazis unter den Teppich - und zeigt sich geschockt, als das Land 50 Jahre später nach der Veröffentlichung alter Kriegsakten weltweit am Pranger steht. US-Staatssekretär Stuart Eizenstat sagt 1997: "Zu oft stellte die Neutralität eine Entschuldigung dafür dar, moralische Überlegungen zu vermeiden."

Zu diesem Zeitpunkt hat der Schweizer Finanzplatz sein Geschäftsmodell längst perfektioniert: Geschätzte 800 Milliarden Franken an sogenanntem Fluchtgeld lagern heute auf den Nummernkonten Schweizer Privatbanken. Das Geld stammt von Diktatoren, Verbrecherkartellen und Steuerhinterziehern aus aller Welt.

Stand: 14.09.10