Für Bundeskanzler Helmut Schmidt ist er "Sozi mit Leib und Seele": Hans-Jürgen Wischnewski bekleidet nahezu alle Ämter, die seine Partei zu vergeben hat. Er ist Bundesvorsitzender der Jusos, Geschäftsführer, Schatzmeister und Vize-Vorsitzender der SPD. Mehr als dreißig Jahre gehört er dem Bundestag an und setzt sich für die Belange seines Wahlkreises Köln ein. Geboren wird Wischnewski am 24. Juli 1922 im ostpreußischen Allenstein. Er wächst in Berlin auf: "Mein Elternhaus war preußisch-protestantisch." Nach dem Abitur wird er 1941 zur Wehrmacht eingezogen, kämpft im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenenschaft kommt er 1945 nach Bayern, wo er als Metallarbeiter tätig ist.
1946 tritt Wischnewski in die SPD und die IG Metall ein. Die Gewerkschaft schickt ihn zur Betreuung von Betriebsräten nach Köln. Dort beginnt Wischnewski seine Parteikarriere: 1957 wird er Vorsitzender des Kölner Kreisverbandes und zieht in den Bundestag ein. "Als ich das erste Mal den Plenarsaal betrat, musste ich in der letzten Reihe sitzen, denn wir saßen alphabetisch", erinnert sich Wischnewski. Herbert Wehner habe ihm gesagt: "Hier musst du Arschloch heißen, wenn du nach vorne willst." Wischnewski schafft es ohne Namensänderung - mit Hilfe einer alten preußische Tugend: "'Ich diene' hat bei mir einen hohen Wert." Wischnewski versteht sich als Pragmatiker, der "Action" braucht: "Das heißt, etwas bewegen. Ein Problem lösen macht mir mehr Spaß als vielleicht ideologische Auseinandersetzungen." Seine erste "Action" führt gleich zu internationalen Verwicklungen: Als er 1958 Algerien im Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich unterstützt, beschwert sich der französische Botschafter bei Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU).
Sein umstrittener Einsatz für Algerien öffnet Wischnewski später die Türen zur arabischen Welt. 1966 wird er in der ersten Großen Koalition Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Aufgrund seiner Tätigkeit als Reise-Diplomat vor allem in die arabische Welt erhält Wischnewski von Brandt den Spitznamen "Ben Wisch". 1970 schickt Brandt den Krisenmanager zu einer Flugzeugentführung nach Amman in Jordanien. Mit Hilfe von Palästinenserführer Jassir Arafat gelingt es Wischnewski, über 200 Geisel aus drei entführten Flugzeugen freizubekommen. Immer wieder wird er mit diplomatischen Sondermissionen betraut. Die spektaluärste findet 1977 in Mogadischu statt: die Befreiung von 90 deutschen Geiseln aus einer von palästinensischen Terroristen entführten Lufthansa-Maschine. Wischnewski verhandelt vier Tage, dann stürmt die Anti-Terror-Einheit GSG-9 die Maschine.
Wischnewski bezeichnet sich als "harmoniebedürftig", gleichzeitig gehe er aber keinem Streit aus dem Weg. Auch nicht in der eigenen Partei: Er kritisiert Hans-Jochen Vogel, Brandt und seinen Freund Helmut Schmidt. "Wenn er bisweilen gesagt hat: Das kannst du so nicht machen, dann hat er immer recht gehabt", erinnert sich Schmidt. 1990 scheidet Wischnewski aus dem Bundestag aus und vermittelt von nun an im Nahen Osten. 1999 trifft ihn ein schwerer Schicksalsschlag: Die älteste seiner drei Töchter - die über 20 Jahren an Multipler Sklerose leidet - nimmt sich gemeinsam mit ihrem Ehemann das Leben. Ein paar Wochen danach hat Wischnewski einen Herzinfarkt. Zwei Jahre später verliert er seine dritte Frau durch Leukämie. Nach einem weiteren Herzanfall stirbt Wischnewski am 24. Februar 2005 im Alter von 82 Jahren in einem Kölner Krankenhaus.
Stand: 24.02.10