Als Baltasar de Cisneros 1808 zum Vizekönig in Buenos Aires ernannt wird, sind die Tage von Spaniens Kolonialherrschaft am Rio de la Plata bereits gezählt. Drei Jahre zuvor hat de Cisneros als Marine-Offizier die Versenkung der spanischen Flotte bei Trafalgar durch die Briten miterlebt. Die scheinbare Schutzlosigkeit von Spaniens gewinnträchtigen Übersee-Kolonien nutzend, greift die britische Admiralität daraufhin Buenos Aires an. De Cisneros Vorgänger flüchtet und überlässt die Criollos, (Kreolen), wie sich die in Amerika geborenen Nachfahren der Spanier nennen, ihrem Schicksal. Doch den Bürgern von Buenos Aires, der Fremdherrschaft überdrüssig und vom Freiheitsgedanken der Französischen Revolution bewegt, gelingt es 1807, das Kolonialreich England zu blamieren und die Invasoren zu vertreiben. Dieser Sieg und die Erfahrung der eigenen Stärke werden zur Initialzündung des Kampfes um die Unabhängigkeit Argentiniens.
Vizekönig ohne König
Zunächst aber schöpft Spanien neue Hoffnung und beauftragt de Cisneros mit der Verwaltung des an Bodenschätzen und Nutztieren so reichen Vizekönigreichs, das die späteren Staaten Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien umfasst. Doch als Napoleon im Mutterland Spanien einmarschiert und 1808 den König zugunsten seines eigenen Bruders entmachtet, verliert auch Vizekönig de Cisneros am fernen Rio de la Plata den letzten Rest seiner Machtbasis. Gegen die Stimmen der spanientreuen Royalisten erheben sich die kreolischen Einwohner von Buenos Aires und erklären am 25. Mai 1810 den spanischen Vizekönig für abgesetzt. Die von den Mai-Revolutionären ausgerufene Unabhängigkeit hat allerdings zunächst nur lokale Wirkung. Zwei Fraktionen kämpfen unerbittlich um den nationalen Weg zur Unabhängigkeit: auf der einen Seite die Föderalisten, Großgrundbesitzer und Klerus, die einen lockeren Bundesstaat unter Beibehaltung ihrer Macht anstreben – auf der anderen Seite die Unitarier, die für einen straffen Einheitsstaat unter Führung der Hauptstadt Buenos Aires eintreten.
Putsche, Diktatoren, korrupte Präsidenten
Politisch wird das Land in jenen Jahren von Regierungen beherrscht, die sich in immer kürzeren Abständen gegenseitig aus dem Amt jagen. Mal regiert eine vielköpfige Junta, dann ein Triumvirat, dann wieder ein sogenannter "Director Supremo" - diese Epoche liefert ein Abbild dessen, was Argentinien in seiner künftigen, an Militärputschen, Diktatoren und korrupten Präsidenten so reichen Geschichte noch bevorsteht. Unter den innenpolitischen Querelen zerbricht das Großreich am Rio de la Plata; die Gebiete des späteren Paraguay und Uruguay entziehen sich der Herrschaft von Buenos Aires. Erst 1813 gelingt es den unitarischen Kreolen, die letzten spanientreuen Truppen in den verbliebenen Provinzen zu besiegen. Damit ist nach sechs Jahren Befreiungskrieg der Weg frei, das Ende der spanischen Kolonialära im ganzen Land durchzusetzen. Am 9. Juli 1816 versammelt sich in der Provinz Tucuman der erste Nationalkongress Argentiniens und erklärt die Unabhängigkeit der "Vereinigten Provinzen von Südamerika".
Stand: 25.05.10