Im Juni 1958 verpflichten sich die Angehörigen des Volkseigenen Betriebs (VEB) "Steckenpferd", das vorgeschriebene Plansoll der DDR-Wirtschaft um 100.000 US-Dollar an Exportgütern zu überschreiten. Von den erzielen Devisen wollen die Arbeiter des Kosmetikbetriebs in Radebeul bei Dresden einen Frachter erstehen, der für Urlaubsreisen aus dem Arbeiter- und Bauernstaat genutzt werden kann."Das war ein kleiner Funke, der ein großes Feuer entfachte", erinnert sich ein Zeitgenosse. "Viele hundert Millionen D-Mark" seien auf diese Weise landesweit zusammengekommen. Zu den angekauften Schiffen gehört auch die "Völkerfreundschaft", die am 3. Januar 1960, dem Geburtstag des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck, unter Federführung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) in Dienst gestellt wird. Besonders sie macht "deutlich, dass es sich lohnt, den Kopf anzustrengen, die Hände zu rühren, um die Arbeitsproduktivität zu steigern, den technischen Fortschritt zu beschleunigen und die Betriebspläne überzuerfüllen".
Die "Völkerfreundschaft" hat eine wenig rühmliche Vergangenheit. 1956 rammt das Schiff, als "Stockholm" noch unter schwedischer Flagge segelnd, den italienischen Luxusliner "Andrea Doria", der vor der amerikanischen Küste sinkt. Nun soll der Unglücksfrachter als erstes Urlaubsschiff der DDR einer strahlenden sozialistischen Zukunft entgegenschippern. Bei der Jungfernfahrt von Rostock durch den Golf von Biskaya zum Schwarzmeerhafen Constanza sind 500 Gäste an Bord. Für 250 Ostmark geht es später zu den Sehenswürdigkeiten des Klassenfeindes nach Griechenland, Afrika oder in die USA.Dann kommt der 13. August 1961. Der Mauerbau macht Schluss mit der freien Fahrt der "Völkerfreundschaft". Fortan befährt das Schiff vornehmlich in Kurzreisen den sozialistischen Ostseeraum. Auf große Reise in den sozialistischen Schwarzmeerraum dürfen fast ausschließlich verdiente Genossen gehen. Aus Angst vor Republikflucht durch Wassersprung werden Reisende auch schon mal mit Bussen ins befreundete Havanna gekarrt, während die "Völkerfreundschaft" leer durch die schmale Straße von Florida schippert. Befährt das Schiff den Bosporus, stehen Wachen an der leinengesicherten Reeling. Um die Systemtreue der Besatzung zu überprüfen, befragen Abschnittsbevollmächtigte (ABV) die Nachbarn der Seeleute; erst danach gibt es den für die Fahrt erforderlichen Sichtvermerk in Seefahrtsbuch.
1963 geht die "Völkerfreundschaft" vom FDGB in den Besitz der Deutschen Seereederei über. Von nun an wird das Schiff gegen Devisen auch an ausländische Reisegesellschaften verchartert. Von 1967 bis 1970 gehen von 79 Reisen nur 27 an DDR-Bürger. 1992 wird das Schiff für noble Kreuzfahrten umgerüstet. Heute bringt die "Völkerfreundschaft" als "Athena" Urlauber zu den Fjorden Norwegens, nach Grönland oder nach Spitzbergen.
Stand: 03.01.10