Als Alfred Hitchcock 1959 Robert Blochs Roman "Psycho" liest, ist er gelangweilt. Nach Ansicht des britischen Regisseurs kann der amerikanische Autor die Geschichte der Immobilienangestellten Mary Crane, die 40.000 Dollar unterschlägt und auf der Flucht im Motel des zwielichtigen Norman Bates unterkommt, nicht erzählen.Aber dann kommt eine Szene, die Hitchcock doch für den Stoff gefangen nimmt: Crane steigt unter die Dusche, dann geschieht plötzlich der Messermord. "Ich glaube, das Einzige, was mich dazu gebracht hat, den Film zu machen, war der unerwartete Mord unter der Dusche", wird sich der Regisseur später erinnern. "Das ist ganz unvermittelt, und deshalb hat es mich interessiert."
Kein Schnitt ins Fleisch
Auch Hitchcocks Film ist ganz auf diesen Überraschungseffekt hin angelegt. Die Vorgeschichte wird unnötig in die Länge gezogen, die Fluchtgeschichte soll das Publikum mit der Frage abgelenken, ob Crane gefasst wird oder nicht. Außerdem hat Hitchcock die Rolle des zukünftigen Opfers mit der prominenten Janet Leigh besetzt. Es ist ein zusätzliches Ablenkungsmanöver. Denn es gibt kein früheres Hollywood-Beispiel dafür, dass der Star im ersten Drittel des Films ermordet wird.Überhaupt legt Hitchcock seine ganze Leidenschaft in die Duschmordszene, die er zunächst als Liebesakt, später in der Art einer Vergewaltigung inszeniert. Sieben Tage dauert es, die 45-sekündige Sequenz zu drehen. 70 Kamerapositionen sind nötig, um im Auge des Betrachters die Illusion einer völlig nackten Janet Leigh entstehen zu lassen, von der man tatsächlich nur Kopf, Schultern und Hände sieht; die Beine werden von einem Double beigesteuert. Bestimmte Einstellungen sind in Zeitlupe gedreht, um der Gefahr zu entrinnen, dass eine Brust sichtbar wird. So brutal die Szene wirkt: Im Film ist kein einziger Stich ins Fleisch zu sehen. Das Messer berührt nirgends die Haut. Es sind die schnellen Schnitte und die markerschütternde Musik, die die Grausamkeit erzeugen.
Die verbotene Kloschüssel
Als "Psycho" abgedreht ist, setzt Hitchcock alles daran, den Plot geheim zu halten. Auf der Drehklappe wird der Film "Wimpy" genannt, Kinobetreiber werden zur Geheimhaltung verpflichtet. Als "Psycho" 1960 in die US-Kinos kommt, schwappt ein Schwall der Entrüstung durchs ganze Land. Aber es ist nicht die Brutalität der Duschszene, der die Kritiker aufschreien lässt, ebenso wenig wie die spärlich bekleidete Janet Leigh. Es ist der Umstand, dass Hitchcock gewagt hat, eine offene Toilettenschüssel zu zeigen und das Geräusch einer Klospülung zu verwenden.Eine derart scharfe Reaktion ist aus Deutschland nicht überliefert. Hier hat "Psycho" am 7. Oktober 1960 Premiere. Heute gilt er als eines der größten Meisterwerke der Filmgeschichte. Insgesamt spielt die Produktion mit einem Budget von 800.000 Dollar fast 20 Millionen Dollar ein.
Stand: 07.10.10