Im Mai 1784 schreibt der britische Geschäftsmann John Walter einen Brief an Benjamin Franklin, Verleger und Gründervater der USA: "Ich bin damit beschäftigt, eine Zeitung nach meinen Vorstellungen herauszubringen." Warum Walter dies Franklin mitteilt, ist ungeklärt. Walter besitzt in England nur eine Lizenz zur Veröffentlichung von Büchern. Er kann aber dennoch in London seine Zeitungspläne verwirklichen. Am 1. Januar 1785 ist es soweit: Die erste Ausgabe der Tageszeitung trägt den Namen "Daily Universal Register", drei Jahre später - von der 940. Ausgabe an - heißt sie dann "The Times". In der ersten Ausgabe erklärt Walter seine Ziele. Sein Blatt werde "wie ein gut gedeckter Tisch etwas für jeden Gaumen Passendes enthalten." Er setzt dabei auf Überparteilichkeit. Das ist damals neu. Im 18. Jahrhundert ist es in England durchaus üblich, dass sich Politiker die Unterstützung von Zeitungen erkaufen. Wir werden, verspricht dagegen Walter, allen politischen und gesellschaftlichen Strömungen gegenüber eine neutrale Position einnehmen und so objektiv wie möglich berichten.
Zu Beginn ist die "Times" anderen Zeitungen unterlegen. Das Netz der Korrespondenten ist noch zu grobmaschig. Dennoch kommt das Prinzip der Unabhängigkeit bei den Lesern an. Dann aber verrät Walter sein Ideal: Schon vier Jahre nach der ersten Ausgabe steckt er sich Zuwendungen der Regierung in die Tasche, 300 Pfund, und veröffentlicht im Gegenzug jeden Artikel, den das Kabinett einsendet. Schließlich lässt er sich vom Premierminister für eine Kampagne gegen den Thron einspannen. Das Vertrauen der Leser ist dahin. Walter muss wegen öffentlicher Majestätsbeleidigung ins Gefängnis. Sein Sohn, der ebenfalls John Walter heißt, führt die Zeitung aus der Krise - indem er der Grundsatz der Unabhängigkeit erneuert. Mit Erfolg: Zum 150. Geburtstag gratuliert 1934 seine Majestät König Georg V. der "Times": "Jene, die vor 150 Jahren ihre Zeitung gegründet haben, wären stolz, ihr Blatt heute zu sehen."
Die "Times" ist zu dieser Zeit nicht nur in England ein Leitblatt, sondern weltweit. Ihr Einfluss ist so groß, dass Großbritannien in vielen Ländern zwei Repräsentanten hat: den Botschafter und den "Times"-Korrespondenten. Über ihren Einfluss auf gehobene Kreise verhindert oder fördert sie politische Entscheidungen des Unterhauses, deckt Skandale im Oberhaus auf, beendet Karrieren oder begründet sie. Doch dann landet die anscheinend über allem schwebende Hüterin der Unabhängigkeit auf dem Boden des englischen Zeitungsmarktes: Am 13. Februar 1981 wird die "Times" vom Rupert Murdoch übernommen. Jene "Times"-Redakteure, die nicht auf der Linie des australischen Medienmonopolisten sind, fliegen raus. Viele wechseln zu dem neuen Blatt, das die Unabhängigkeit im Titel führt: "The Independent".
"Die 'Times' hat", sagt der Medienexperte Wilfried Kochner, "seit 1981 die Aufgabe, die konservative politische Richtung von Murdoch dementsprechend zu verbreiten." So habe dieser Margaret Thatcher, teilweise Tony Blair und sehr stark die Bush-Regierung unterstützt. "Für Murdoch zählt allein der wirtschaftliche Erfolg", so Kochner. Das Rezept laute "Boulevard statt Politik". Murdochs Rechnung geht offenbar auf: Die Auflage der "Times" ist auf eine Rekordmarke von 650.000 Exemplaren gestiegen.
Stand: 01.01.10