Im Spätsommer 1990 verschärft sich die Golfkrise dramatisch: Am 2. August marschieren irakische Truppen in Kuwait ein. Es geht um Öl und Geld: Der Irak ist seit dem Ersten Golfkrieg, der in den 1980er-Jahren zwischen Iran und Irak ausgetragen wurde, hochverschuldet. Da Kuwait beschlossen hat, seine Ölförderung zu erhöhen, drohen dem Irak immense Verluste im eigenen Ölgeschäft. Unmittelbar nach dem irakischen Überfall auf Kuwait bereiten sich die USA auf einen Militärschlag gegen Iraks Diktator Saddam Hussein vor. Sie sind Kuwaits Verbündeter und an sicheren Öl-Lieferungen interessiert.
Seit der irakischen Besetzung Kuwaits ist allen Ausländern im Irak die Ausreise verboten. Darunter befinden sich rund 400 Deutsche. Einige sitzen als "Gäste", wie Hussein sie nennt, in Hotels fest. Andere werden an strategisch wichtige Punkte gebracht - als Schutzschild gegen mögliche Angriffe der USA.
Angehörige der Geiseln protestieren
"Mein Wunsch ist: alle Geiseln von allen Nationen so schnell wie möglich raus", sagt der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Doch wie soll das gehen? Die betroffenen Länder reagieren unterschiedlich: Schweden, Norwegen und Spanien schicken Parlamentsdelegationen nach Bagdad, um ihre Geiseln herauszuholen. Frankreich handelt bei einem Geheimtreffen die Freilassung aller Franzosen aus. Österreichs Bundespräsident Kurt Waldheim fliegt persönlich in den Irak, Hussein lässt daraufhin über 100 Geiseln frei. Amerikaner und Briten demonstrieren dagegen Härte. Sie wollen sich nicht instrumentalisieren lassen. Die Bundesregierung tut sich schwer. Sie will den Bündnispartner USA nicht verprellen. Wochenlang gibt es keine Entscheidung. Als jedoch Angehörige der Geiseln in Bonn demonstrieren, gerät die Bundesregierung unter Druck.
Brandt verhandelt mit Hussein
Dann tut sich ein Ausweg auf: Altkanzler Willy Brandt (SPD) ist zu dieser Zeit Präsident der Sozialistischen Internationale, dem weltweiten Bündnis von sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien. In dieser Funktion hat Hussein ihn nach Bagdad eingeladen. Somit kann Brandt - sozusagen als Nicht-Gesandter der Bundesrepublik - in den Irak reisen. Trotz nationaler und internationaler Kritik, mit dem Besuch werde Hussein ungewollt aufgewertet, fliegt Brandt am 5. November 1990 los. Seine Reaktion auf die Bedenken ist kurz und knapp: "Ich habe keine Zeit gehabt, solchen Quatsch zu lesen."
In persönlichen Gesprächen mit Hussein erreicht Brandt die Ausreise eines Teils der Geiseln: Am 9. November 1990 landen - nach Angaben des Auswärtigen Amtes - 126 Deutsche und 51 ausländische Staatsangehörige zusammen mit Brandt in einer Sondermaschine der Lufthansa auf dem Flughafen in Frankfurt am Main. Brandt legt Wert darauf, dass seine Mission einen internationalen Charakter habe. Er wolle damit ein Zeichen für eine globale Friedenslösung setzen. Doch dazu kommt es nicht: Nach Brandts Reise werden zwar auch die übrigen Geiseln nach und nach freigelassen. Doch eine politische Lösung des Konflikts gibt es nicht: Im Januar 1991 startet eine multinationale Truppe unter Führung der USA Luftangriffe auf den Irak. Der Zweite Golfkrieg beginnt. Im Februar 1991 zieht der Irak schließlich aus Kuwait ab.
Stand: 05.11.10