Das Haus mit all seinen Bewohnern und deren ganzer Habe liegt unter einer drei Meter dicken Ascheschicht begraben. Alles ist unverändert, als wären die Menschen erst gestern aus dem Leben gerissen worden. Im Sommer 2004 legen Archäologen der amerikanischen Universität Rhode Island die Unglücksstätte frei, allerdings nicht in Italien am Fuße des Vulkans Vesuv, sondern auf Sumbawa, dem fünften Eiland im indonesischen Inselbogen hinter Sumatra, Java, Bali und Lombok. Wie im antiken Pompeji, das im Jahr 79 durch den Ausbruch des Vesuvs vernichtet und unter Asche konserviert wird, bleibt auch den Einwohnern des kleinen Königreichs Tambora keine Chance zur Flucht. In Sekundenschnelle bricht das Unheil über sie herein, als dort am 10. April 1815 nach mehr als 5.000 Jahren Ruhe der über 4.000 Meter hohe Berg Tambora explodiert. Es ist der bis heute gewaltigste Vulkanausbruch der bekannten Geschichte. Rund um den Globus werden die Menschen unter seinen Folgen leiden.
Vier Tage Höllenfeuer
"Drei getrennte Feuersäulen brachen gegen sieben Uhr abends aus dem Gipfel des Tambora", berichtet ein Augenzeuge. "Der ganze Berg schien flüssiges Feuer, das sich ringsum ausdehnte." Über 60 Kilometer hoch, bis in die untere Mesosphäre, schießt die Eruptionswolke und verfinstert drei Tage lang im Umkreis von 300 Kilometern den Himmel. Glutheiße Lawinen aus Gasen und Feststoffen rasen fast mit Schallgeschwindigkeit die Hänge herab und vernichten jedes Leben. Dichter Ascheregen legt sich wie ein Leichentuch über die zuvor üppige Dschungellandschaft. Nach vier Tagen Höllenfeuer hat die Explosion rund 1,5 Kilometer des Vulkans Tambora weggesprengt. Wo zuvor die Spitze des gewaltigen Vulkans aufragte, klafft nun ein Einbruchskrater, eine Caldera, von 1.200 Meter Tiefe und sechs Kilometer Breite. Bis zu 90.000 Menschen kommen durch den Tambora-Ausbruch ums Leben. Sie ersticken, verbrennen oder ertrinken in den durch die Eruption ausgelösten Tsunamis und verhungern infolge der totalen Vernichtung aller Anbaugebiete.
Sommer mit Eis und Schnee
Ein Vergleich mit späteren Eruptionen macht die fürchterlichen Folgen der Tamburo-Katastrophe verständlich. Während bei Ausbrüchen etwa des Mount St. Helens 1980 oder des Pinatubo 1991 zwischen ein und fünf Kubikkilometer Masse bewegt werden, schleudert der Druck in den Magma-Taschen des Tamburo bis zu 300 Kubikkilometer Schwefel-Gestein in den Himmel. In der Atmosphäre bilden sich daraus Aerosole, winzige Tröpfen Schwefelsäure, die sich in den folgenden Monaten rund um die Erde ausbreiten. Sie reflektieren das Sonnenlicht zurück ins All und bewirken eine verhängnisvolle Abkühlung des gesamten Erdklimas. So geht das Jahr 1816 weltweit als das "Jahr ohne Sommer" in die Geschichte ein – mit katastrophalen Folgen für die Menschen: Eis und Schnee in allen Monaten bewirken Missernten und Hungersnöte, die Brotpreise steigen drastisch, ganze Landstriche verelenden. In Mitteleuropa, wo die Not nach dem Ende der Napoleonischen Kriege schon groß ist, suchen nun Millionen Menschen ihr Heil in der Flucht. Der Ausbruch des Tamburo am anderen Ende der Welt löst damit die großen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts in die Neue Welt aus.
Stand: 10.04.10