Flüchtlingsschiff "Wilhelm Gustloff"

Stichtag

30. Januar 1945 - Flüchtlingsschiff "Wilhelm Gustloff" wird versenkt

1937 läuft die "Wilhelm Gustloff" vom Stapel: "Immer wieder braust der Jubel empor an dem schlanken Leib des neuen Schiffes", berichtet ein Radioreporter. "Der Führer zeigt sich, hoch recken sich die Arme der Tausenden." Den Taufakt vollzieht die Witwe des Namensgebers Wilhelm Gustloff, einem "Blutzeugen der nationalsozialistischen Bewegung". Der Leiter der Schweizer Auslandsabteilung der NSDAP war im Jahr zuvor in Davos von einem jüdischen Medizinstudenten erschossen worden.

Die "Wilhelm Gustloff" ist damals das größte Kreuzfahrtschiff der Welt: über 208 Meter lang, gut 23 Meter breit, weiß gestrichen, mit Kino und Schwimmbad. Für die NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) fährt sie eineinhalb Jahre lang Urlauber über die Weltmeere. Im Zweiten Weltkrieg wird die "Wilhelm Gustloff" grau gestrichen und liegt größtenteils als schwimmende Kaserne in Gotenhafen in der Danziger Bucht an der Ostsee.

Flucht durch deutsches "Operationsgebiet"

Ende Januar 1945 rückt die Rote Armee immer weiter nach Westen vor, in Richtung Danzig. Bald ist Ostpreußen vom Deutschen Reich abgeschnitten. Für mindestens 1,5 Millionen Zivilisten und rund 500.000 Wehrmachtsangehörige bleibt damit nur noch die Flucht über die Ostsee. Die "Operation Hannibal" läuft an: Mit Schiffen sollen die Flüchtlinge übers Meer transportiert werden. Die daran beteiligte "Wilhelm Gustloff" verlässt Gotenhafen am 30. Januar 1945 um die Mittagszeit.

Das für 1.400 Passagiere konzipierte Schiff hat über 10.000 Menschen an Bord, überwiegend Frauen und Kinder. Auch ein paar hundert Soldaten sind dabei. Matrosen hatten vor dem Auslaufen notdürftig ein paar Flakgeschütze montiert. Die Angst ist groß: Bereits 1944 hatten die Deutschen die Ostsee zum sogenannten Operationsgebiet erklärt. Die deutsche Marine sollte auf alles Feuern, was schwimmt. Nun könnte der Feind zurückschlagen. Um 21.15 Uhr ist es soweit: Die Radioübertragung von Hitlers Rede zum Tag seiner "Machtergreifung" ist gerade zu Ende, als drei Torpedos das Schiff auf der Höhe von Stolpmünde treffen. Abgefeuert hat sie das sowjetische U-Boot "S-13".

Über 9.000 Tote, nur rund 1.200 Gerettete

Auf der "Wilhelm Gustloff" bricht Panik aus. Die Passagiere auf den unteren Decks des überfüllten Dampfers haben keine Chance. Viele werden auf den Gängen zu Tode getrampelt. Oben beginnt der Kampf um die wenigen Rettungsboote. Sie sind vereist und können nicht zu Wasser gelassen werden. Der Besatzung gelingt es, nur wenige freizubekommen. Unterdessen neigt sich die "Gustloff" immer mehr zur Seite. Viele Flüchtlinge rutschen über die vereisten Planken ins Wasser. Sie versuchen sich an die überfüllten Rettungsboote zu klammern. Mit Rudern schlagen die Insassen ihnen auf die Finger, bis sie loslassen. "Da hat man im Wasser nur Menschenknäuel gesehen", erinnert sich später die Überlebende Waltraud Grüter.

In den eisigen Wellen ertrinken immer mehr Menschen. Das deutsche Torpedo-Boot "T-36" beginnt, so viele wie möglich zu retten. Plötzlich gibt "T-36" Vollgas, durch den Ruck fallen einige der Geretteten wieder über Bord. Nur knapp verfehlen zwei weitere Torpedos, die das russische U-Boot "S-13" abgefeuert hat, ihr Ziel. Der Kommandant von "T-36" lässt Wasserbomben werfen, die das U-Boot schwer beschädigen. Insgesamt sterben beim bisher größten Schiffsunglück über 9.000 Menschen - sechs Mal so viele wie beim Untergang der "Titanic". Nur rund 1.200 Flüchtlinge können gerettet werden.

Stand: 30.01.2010