Selbst erlebt hat Karl May seine Wildwest-Abenteuer bekanntlich nicht – aber gut recherchiert. Wer kennt ihn nicht, den berühmten "Henry-Stutzen" von Old Shatterhand? Das Wunder-Gewehr, mit dem man scheinbar endlos feuern kann ohne nachzuladen. Mays Roman-Alter-Ego erhält es in "Winnetou I" von einem schrulligen Büchsenmacher namens Henry, und dieser findige Waffenkonstrukteur ist keine von Karl Mays Fantasiegestalten: Um 1860 hat tatsächlich ein gewisser Benjamin Tyler Henry aus New Hampshire das legendäre Magazin-Gewehr mit dem typischen Repetierhebel unter dem Abzug entwickelt.
Hemdenfabrikant greift zur Waffe
Doch wie so oft in der Technik-Geschichte erntet Ruhm und Reichtum nicht der geniale Tüftler, sondern ein gewiefter Geschäftsmann. Berühmt wird das "Henry Rifle" deshalb ab 1866 unter dem Namen ihres Fabrikanten Oliver Fisher Winchester. Mit Schießeisen hat der am 30. November 1810 in Boston geborene Bauernsohn und gelernte Schreiner zunächst gar nichts zu tun. Binnen kurzer Zeit macht Oliver Winchester mit einer eigenen Hemdenfabrik ein Vermögen. Als die renommierte Waffenschmiede Smith & Wesson insolvent wird, sattelt der risikofreudige Winchester um. Er kauft das marode Unternehmen, siedelt es an die Ostküste um und führt es ab 1857 als "New Haven Repeating Arms Company" weiter. Winchesters Glück: Unter den Angestellten ist auch der Büchsentüftler Tyler Henry.
Bleischwerer Western-Mythos
Dessen perfektioniertes Repetiergewehr vermarktet der PR-Stratege Winchester als "wirksamste Waffe der Welt". Obwohl eine Winchester das Dreifache eines üblichen Gewehrs kostet, gehört sie bald zur Grundausstattung vieler Siedler, Cowboys, Bürgerkriegssoldaten und Banditen wie Billy the Kid, Wyatt Earp oder Jesse James. "Glauben Sie mir, dass Sie das beste Gewehr haben, da je hergestellt wurde", schreibt Buffalo Bill Cody an Winchester, der das Lob des Nationalhelden gewinnbringend für seine Reklame nutzt.
Nach dem Tod des Firmengründers im Dezember 1880 wechselt der erfolgreiche Waffenhersteller mehrfach den Besitzer und landet schließlich im Imperium des Konkurrenten Browning. Das legendäre Repetiergewehr jedoch, das in unzähligen Wildwest-Mythen eine bleischwere Hauptrolle spielt, bleibt untrennbar mit dem Markennamen Winchester verbunden. Mit dem Film-Klassiker "Winchester 73" setzt Hollywood 1950 einem seiner wichtigsten Requisten ein würdiges Denkmal.
Stand: 30.11.10