Stichtag

13. März 2010 - Vor 20 Jahren: Kinderpsychologe Bruno Bettelheim bringt sich um

Nachdem seine Frau Trude gestorben ist, und er wegen eines Schlaganfalls nicht mehr arbeiten kann, nimmt sich Bruno Bettelheim das Leben: Der 86-jährige Kinderpsychologe zieht sich am 13. März 1990 in Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland eine Plastiktüte über den Kopf und erstickt. Mit Bettelheim stirbt ein Pionier: Mit Einfühlungsvermögen und einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung therapiert der österreichische Psychoanalytiker seelisch kranke Kinder. Er betreibt ab Mitte der 1940er Jahre die "Orthogenic School", eine Art Kinderheim, bei Chicago. Bettelheim betreut dort Kinder, die vernachlässigt, missbraucht oder von Drogen zerstört sind: "Die einzige Grundlage für die Institution war, jedem Kind das zu geben, was es braucht." Sein Konzept: "eine vollkommen akzeptierende, alle Nöte erfüllende Umgebung." Die Kinder sollen das Vertrauen zu sich selbst und somit auch zu anderen wieder aufbauen. "Die Kinder wurden auf allen Ebenen verwöhnt", erklärt die Essener Kinderanalytikerin Amelie Haffer-Penther. Sie durften demnach schlafen, wann sie wollten, und essen, was sie wollten.

Der Antrieb für seine Arbeit liegt in Bettelheims eigener Geschichte. Der am 25. August 1903 in Wien geborene Sohn wohlhabender jüdischer Eltern wird 1938 von den Nazis verhaftet und zuerst in das Konzentrationslager Dachau, später nach Buchenwald verschleppt. Nach zehn Monaten wird er freigelassen mit der Auflage, in die USA zu emigrieren. "Warum habe ich überlebt?", fragt sich Bettelheim. Um die Schuldgefühle zu verarbeiten, habe er sein Leben "diesen hoffnungslosen Kindern" gewidmet. Rund 80 Prozent seiner Patienten sollen die "Orthogenic School" geheilt verlassen haben. 1974 gibt Bettelheim die Leitung der Einrichtung ab und schreibt Bücher. Sein bekanntestes Werk heißt "Kinder brauchen Märchen" (1975). Es geht für ihn um die Befriedigung des kindlichen Gerechtigkeitsgefühls: "Das Kind erwartet, dass die Bösen sehr böse bestraft und die Guten, Tugendhaften belohnt werden." Die Botschaft: Es kann zwischendurch alles schwierig sein, aber ich komme da durch.

Nach Bettelheims Tod wird das Bild von der Lichtgestalt von ehemaligen Patienten und Mitarbeitern in Frage gestellt. Der Humanist soll durchaus aggressive Seiten gehabt haben. Theoretisch ein Gegner jeglicher körperlichen Strafe, soll Bettelheim selbst geprügelt haben, teilweise mit Faustschlägen und Peitschenhieben. Er sei unbeherrscht und unberechenbar gewesen, so der Vorwurf. Kinderanalytikerin Haffer-Penther deutet dieses Verhalten aus seiner Lebensgeschichte: "Er hat etwas erlebt im Konzentrationslager, [...] was vielleicht auch da teilweise zum Vorschein kam."

Stand: 13.03.10