Alfred Adler ist der dritte Mann der sogenannten Tiefenpsychologie: Auf Sigmund Freud geht die Psychoanalyse zurück, dessen Schüler Carl Gustav Jung entwickelt die Analytische Psychologie und Adler gilt als Vater der Individualpsychologie. Das aus dem Lateinischen stammende Wort "Individuum" bedeutet: das Ungeteilte, das Unteilbare. Körper, Seele und Geist gehören für Adler untrennbar zusammen: Wird dieses Gleichgewicht gestört, entstehen Konflikte und auch Krankheiten. Diese Pionierleistung Adlers - die Psychosomatik - werde in der Geschichte der psychosomatischen Medizin allerdings fast immer totgeschwiegen, sagt Thomas Reinert vom Düsseldorfer Adler-Institut: "Als Adler einen Spaziergang mit einem Freund unternahm, sagte er resignativ: 'Ach weißt du, wenn ich mal nicht mehr bin, was wird von mir bleiben?' Und der sehr kluge Freund antwortete: 'Alles - nur nicht unter deinem Namen.'"
Lebensstil, Gemeinschaftsgefühl, Minderwertigkeit - das sind die Kernbegriffe der Theorie von Adler, der am 7. Februar 1870 in Wien als Sohn eines jüdischen Getreidekaufmanns geboren wird und Medizin studiert: "Ich habe vor langer Zeit hervorgehoben, dass Mensch sein heißt: sich minderwertig fühlen." Schon das Kind fühle sich ohnmächtig, hilflos und schwach. Nach Adler entsteht daraus aber eine Kraft, sich zu verändern, um das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden und um Anerkennung, Geltung und Macht zu erhalten. Das Streben nach Macht um der Macht willen hält Adler für unsozial. Im Unterschied dazu steht das Streben nach Vollkommenheit, um sich selbst und der Gemeinschaft von Nutzen zu sein. Nur über diesen Weg ist menschliche und kulturelle Entwicklung nach Adler überhaupt möglich. Der Mensch ist für ihn ein soziales Wesen. Deshalb bestimmt das Gemeinschaftsgefühl auch sein Handeln. Das bedeutet für Adler: "Mit den Augen eines anderen zu sehen, mit den Ohren eines anderen zu hören, mit dem Herzen eines anderen zu fühlen."
Als Mediziner arbeitet Adler in einer Gegend Wiens, die zu den ärmsten zählt. Viele seiner Patienten klagen über Beschwerden, die er medizinisch nicht einordnen kann. Er sucht nach den seelischen Ursachen. Adler setzt sich für die sozialmedizinische Betreuung der Wiener ein, hält Vorträge an Volkshochschulen, um den sogenannten einfachen Menschen seine Psychologie zu erklären, und er eröffnet Erziehungsberatungsstellen. 1899 lernt er Freud kennen, besucht später dessen erlesene Diskussionskreise und Vorlesungen. Später kommt es zum Eklat, weil Adler es wagt, zentrale Thesen der Freudschen Lehre anzuzweifeln und den Meister damit in Frage zu stellen. Freud wirft Adler daraufhin vor, Bewusstseins-Psychologie zu betreiben und das Unbewusste zu wenig zu beachten. Als Faschismus und Nationalsozialismus sich in Europa ausbreiten, zieht Adler mit seiner Familie in die USA. Er stirbt am 28. Mai 1937 während einer Vortragsreise in Schottland.
Stand: 07.02.10