Um seine Theorien in Vorlesungen oder auf Kongressen anschaulich zu machen, beginnt Kurt Lewin, Kinder zu filmen. In einer Filmsequenz ist ein Junge zu sehen, der ein umzäuntes Spielzeug erreichen will. Dem Kind scheint das Objekt seiner Begierde aufgrund des Hindernisses unerreichbar, immer wieder rennt es um den Zaun herum. Dann kommt der Junge endlich auf die Idee, über die Absperrung zu klettern. Er hat den Konflikt zwischen Begehren und vermeintlicher Unerreichbarkeit gelöst. Aus dem Off ist Lewins Stimme zu hören: "Ein netter Junge, ganz nach meiner Theorie!".Lewins Theorie, das ist die Feldtheorie: Seiner Meinung nach empfindet der Mensch seinen Lebensraum als ein Feld mit Personen, Dingen und Reizen, die ihn anziehen oder abstoßen und ununterbrochen in Situationen bringen, die Entscheidungen und Lösungsversuche verlangen.
Der "wütende Hering"
Geboren wird Lewin am 9. September 1890 in Mogilno, einem kleinen Ort im westpreußischen Posen. Schon als Kind fällt er durch seine Wissbegierde ebenso auf wie durch seine leichte Reizbarkeit, was ihm den Spitznamen "wütender Hering" verschafft. 1905 übersiedelt die Familie nach Berlin. Lewin verwirft seinen Plan, Landarzt zu werden, und studiert Medizin. Bald schon wechselt er zur Psychologie.Im Ersten Weltkrieg meldet sich Lewin freiwillig. Auch im Schützengraben bleibt er ein genialer Beobachter. Seine prägenden Erfahrungen als Soldat verarbeitet er unter anderem in dem Aufsatz "Kriegslandschaft", der erste Ansätze seiner Feldtheorie enthält: Lewin beschreibt, wie der Soldat im Kampfeinsatz die Landschaft nicht als umgebende Einheit begreift, sondern in Kriegs- und Friedenszonen, Gefahrenherde und Rückzugsbereiche zerlegt.
"Entdecker" der Gruppendynamik
1921 wird Lewin Assistent am Psychologischen Institut der Universität Berlin, sechs Jahre später ebendort Professor. Nicht zuletzt durch seine Dokumentarfilme spielender Kinder, mit denen er seine Vorträge illustriert, wird er in den USA, aber auch international, bekannt. Als Adolf Hitler 1933 in Deutschland die Macht ergreift, befindet er Lewin gerade auf Vortragsreise in Russland. Mit seinen beiden Kindern und seiner Ehefrau geht er ins amerikanische Exil. Hier beschäftigt er sich, wie wenige seines Fachs, weiter mit psychologischen Alltagsproblemen.Aufgrund seiner Experimente mit autoritären und demokratischen Führungsstilen empfiehlt Lewin US-Firmen als Unternehmensberater, ihre Produktion durch Motivation statt durch Befehle zu steigern. Außerdem schult er Lehrer und Sozialarbeiter, um den Abbau von Rassenschranken gegenüber Farbigen und Juden abzubauen. Und er erkennt, wie wichtig Feedback und Selbsterfahrung bei gruppendynamischen Prozessen ist.1944 gründet Lewin das erste Forschungsinstitut für Gruppendynamik. Er stirbt 1947 in Newtonville, Massachusetts.
Stand: 09.09.10