Norwegen gilt als familien- und frauenfreundliches Land: flexible Arbeitszeiten, kostenlose Kindergärten, bezahlte Elternzeit. Frauen gelangen in Führungspositionen, Kinder sind bis zum frühen Nachmittag in der Schule. Viele dieser Regelungen sind mit einer Frau verbunden: Gro Harlem Brundtland. Sie wird am 3. Februar 1981 zum ersten Mal norwegische Minsterpräsidentin - als erste Frau Norwegens und als zweite Europas, nach der britischen Regierungschefin Margaret Thatcher.
Zuvor hat Brundtland, die am 20. April 1939 in Oslo geboren wurde, bereits manche Herausforderung gemeistert: Während sie Medizin studiert, bekommt sie vier Kinder, promoviert in Oslo und schließt ihre Studien in Harvard ab. Nach ihrer Rückkehr wird sie Ärztin, Vize-Chefin der sozialdemokratischen "Norwegischen Arbeiterpartei" und mit 35 Jahren Umweltministerin. Ihr Mann Arne Olav Brundtland ist Hausmann. Sein Motto steht auf einem Schild im Treppenhaus: "Ein Haus muss sauber genug sein, um gesund zu sein - und schmutzig genug, um glücklich zu sein."
Bis zu acht Frauen im Kabinett
Brundtlands erste Regierung hält nur ein paar Monate. Doch zwischen 1986 und 1996 ist sie noch zwei weitere Male Ministerpräsidentin. Mit bis zu acht Frauen in ihrem Kabinett sorgt sie für eine Art "Staatsfeminismus", sagt Skandinavist Thomas Fechner-Smarsly von der Universität Bonn. In ihrer insgesamt rund zehnjährigen Amtszeit habe sie allerdings "gar nicht so viel tun" müssen. Es sei die Zeit der Norwegischen Arbeiterpartei, des Ölbooms in der Nordsee und der Frauenbewegung gewesen, so Fechner-Smarsly.
Dennoch packt Brundtland nicht nur als Politikerin, sondern auch als Gastgeberin an: "Als ich bei Ihnen eingeladen war, haben Sie selbst das Frühstück gemacht - eine Rarität in der Welt der Ministerpräsidenten", erinnert sich die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright.
Internationale Karriere
"Wir stehen vor einer möglicherweise völlig neuen Epoche der europäischen Geschichte", sagte Brundtland, als sie 1994 den Aachener Karlspreis erhält. Denn noch im selben Jahr will sie Norwegen in die EU führen. Davon lassen sich die vier Millionen Norweger allerdings nicht überzeugen. Wie schon 1972 stimmen sie gegen einen Beitritt. "Das Wort Union hat in Norwegen einen sehr schlechten Klang", sagt Fechner-Smarsly. "Man war Jahrhunderte lang in einer Union zunächst mit Dänemark, dann mit Schweden." Das Land sei erst 1905 unabhängig geworden.
1996 tritt Brundtland als Ministerpräsidentin zurück und beginnt eine internationale Karriere. Bereits 1983 hatte sie den Vorsitz der nach ihr benannten UN-Kommission für Umwelt- und Entwicklungsfragen übernommen und den Begriff Nachhaltigkeit in die politische Debatte eingeführt. 1998 wird sie für fünf Jahre Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO und kämpft vor allem gegen Malaria, Tuberkulose und HIV-Infektionen. Der Tabakindustrie wirft sie vor, nach wie vor gezielt Jugendliche zu umwerben. Heute ist die fast 71-Jährige UN-Botschafterin für den Klima-Wandel. Sie lebt in Oslo und Nizza.
Stand: 03.02.2011
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