In Sachen Gleichberechtigung ticken die Schweizer Uhren im 20. Jahrhundert deutlich anders als bei den europäischen Nachbarn. Die rechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau geht nur schleppend voran. In der Bundesverfassung von 1848 steht zwar: "Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich." Doch diese Bestimmung wird lange nur auf Männer angewendet. So erhalten Frauen beispielsweise erst 1971 das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene - nachdem sich bei einer Volksabstimmung die Mehrheit der noch allein maßgebenden Männer dafür ausgesprochen haben.
Nach Angaben des Historischen Lexikons der Schweiz erfolgt damit die Einführung des Frauenwahlrechts in der Eidgenossenschaft "53 Jahre nach Deutschland, 52 Jahre nach Österreich, 27 Jahre nach Frankreich und 26 Jahre nach Italien". Für die praktische Umsetzung des Frauenwahlrechts benötigen einige Schweizer Kantone sogar noch ein bis zwei Jahrzehnte länger.
"Mann und Frau sind gleichberechtigt"
1975, im internationalen "Jahr der Frau", reicht die Schweizer Frauenbewegung eine Volksinitiative ein, die auch eine wirtschaftliche Gleichstellung fordert: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Die Gesetzesvorlage verlangt eine Frist von fünf Jahren, innerhalb derer sämtliche Gesetze und Vorschriften dem neuen Verfassungsartikel anzupassen seien. Ein daraufhin erarbeiteter Gegenvorschlag des Parlaments sieht hingegen keine Übergangsfrist vor. Aber auch er will festschreiben, dass "Mann und Frau gleichberechtigt" sind. Der Kernsatz lautet dabei: "Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit."
Schließlich wird die Volksinitiative zurückgezogen und nur der Gegenentwurf zur Abstimmung gestellt. Am 14. Juni 1981 wird der neue Gleichstellungsartikel per Volksentscheid mit rund 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Damit ist es nun laut Bundesverfassung auch Schweizerinnen möglich, vor Gericht zu ziehen, wenn sie nachweisen können, dass Arbeitgeber ihnen nicht gleich viel zahlen wie Männern.
Frauenstreik fordert Umsetzung ein
Zehn Jahre später kommt es in der Schweiz aber dennoch zu einem sogenannten Frauenstreik: "Die Frauen mussten ein Jahrzehnt nach der Verankerung des Prinzips der Gleichstellung von Mann und Frau feststellen, dass den gleichen Rechten auf dem Papier keine überwältigenden Taten gefolgt waren", sagt Journalistin Elfie Schöpf, die den landesweiten Frauenstreik am 14. Juni 1991 koordiniert hat. Rund eine halbe Million Frauen mit lila Ballons hätten damals auf Schweizer Straßen und Plätzen demonstriert. Für Gewerkschafterin Schöpf ist das "eine unerhörte Provokation in einem Land, das ein Jahrhundert lang überhaupt keine Streiks gekannt hat."
Stand: 14.06.2011
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