25. April 1986, 13 Uhr: Im Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl beginnt ein Test. Die Anlage steht rund 130 Kilometer nördlich von Kiew in der Ukraine, damals eine Republik der Sowjetunion. Der vierte Reaktorblock ist seit drei Jahren ist Betrieb und wird nun heruntergefahren. Getestet werden soll, wie sich der Reaktor bei einem Stromausfall verhält. Aus dem Kernkraftwerk in Smolensk sind Kollegen gekommen, um die Vorgänge zu beobachten.
Doch das Experiment gerät außer Kontrolle: Unerwartet setzt eine Kettenreaktion ein. Ein Not-Stopp misslingt. Der Brennstoff im Reaktor erhitzt sich extrem. Dabei entstehen Gase und dehnen sich aus. Mitternacht ist längst vorbei. Am frühen Morgen des 26. April 1986 ereignet sich schließlich der weltweit erste Super-GAU, eine Kernschmelze: Um 1.24 Uhr sprengt der Druck die tausend Tonnen schwere Abdeckplatte des Reaktors aus der Verankerung. Der Reaktorkern liegt frei. Sein Graphitblock fängt Feuer. Bei Temperaturen von mehr als 2.000 Grad gelangen radioaktive Partikel in die Luft. Die freigesetzte Radioaktivität wird um 100 bis 400 Mal höher geschätzt als die der Hiroshima-Bombe.
Rund 650.000 "Liquidatoren" eingesetzt
Im Reaktorgebäude halten sich zu diesem Zeitpunkt rund 150 Beschäftigte auf. Schutzanzüge gibt es nicht, auch keinen Mundschutz. Zwei Arbeiter sterben in dieser Nacht, 28 Feuerwehrleute in den nächsten Tagen. Die Rettung der Bevölkerung verläuft chaotisch: Aus Kiew werden rund 700 Busse nach Pripjat beordert. Die Stadt, die 1971 für die Tschernobyl-Arbeiter errichtet wurde, soll evakuiert werden. Wer von den etwa 49.000 Einwohner zuerst in Sicherheit gebracht werden soll, ist aber unklar. Die Busse mit ihren Fahrern stehen den ganzen Vormittag in der Sonne - und der radioaktiven Strahlung. Gleichzeitig versuchen Kraftwerksmitarbeiter, den zerstörten Reaktor mit Wasser und Stickstoff zu kühlen. Später füllen Soldaten Säcke mit Sand, Ton und Blei, um damit den Reaktorblock zuzuschütten. Hubschrauber, die ihre Fracht aus 200 Meter Höhe abwerfen, fliegen im Minutentakt.
Insgesamt werden rund 300.000 Menschen umgesiedelt. Tausende erkranken an Krebs. Mindestens 650.000 Menschen, die aus der ganzen Sowjetunion zusammengezogen werden, leisten als sogenannte Liquidatoren Aufräumarbeiten - meist ohne zu wissen, welcher Gefahr sie sich aussetzen. Jeder Dritte, sagen Schätzungen, ist inzwischen tot. Ein Erlass des Gesundheitsministeriums befiehlt damals, Strahlenschäden der Tschernobyl-Mitarbeiter und "Liquidatoren" geheim zu halten.
Brüchiger Sarkophag
Auch gegenüber dem Ausland gibt sich die Sowjetunion zugeknöpft. Zunächst wird die Katastrophe verschwiegen. Erst nachdem unter anderem in Schweden erhöhte Radioaktivität festgestellt wird, räumt Moskau am 28. April 1986 die "Havarie" in Tschernobyl ein. Radioaktive Wolken breiten sich nicht nur nach Westeuropa aus, sondern auch nach Osteuropa und Vorderasien. In der Bundesrepublik ist der südliche Teil besonders betroffen. Am 2. Mai 1986 warnt die Bundesregierung erstmals vor dem Verzehr von Milch und Gemüse. Bauern müssen ihre Kühe im Stall lassen, Kinderspielplätze werden gesperrt. Bis heute sind Waldböden in Bayern verstrahlt.
Nach dem Unfall bleiben die drei unbeschädigten Reaktoren der Anlage weiter in Betrieb. Das Atomkraftwerk Tschernobyl wird erst im Jahr 2000 stillgelegt. Den vierten Reaktorblock bedeckt ein 60 Meter hoher Betonklotz: der sogenannte Sarkophag. 90.000 Helfer haben ihn gebaut, 2.500 Menschen kümmern sich um die Instandhaltung. Da die Schutzhülle mittlerweile brüchig geworden ist, soll mit internationaler Finanzhilfe bis 2015 ein neuer Sarkophag errichtet werden.
Stand: 26.04.2011
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