Der Pontchartrain-See hat alle Opfer geschluckt. Taucher brauchen Wochen, um alle 58 Insassen der Douglas DC-8 zu finden. Das Passagierflugzeug ist kurz nach dem Start am 25. Februar 1964 in New Orleans im Mündungsgebiet des Mississippis abgestürzt. Auch der Sänger Kenneth Spencer stirbt in den Fluten. Ein Schock für seine Frau Josephine, die in Wuppertal auf seine Rückkehr wartet: "Besonders tragisch war, dass ich noch Tage danach Briefe von ihm bekam."
Spencer ist 1946 mit dem Song "Ol' man river" im Broadway-Musical "Showboat" zum Star geworden. Die amerikanische Musikpresse vergleicht ihn mit dem russischen Sänger Fjodor Schaljapin, der als der berühmteste Bassist des frühen 20. Jahrhunderts gilt. Im New Yorker Ziegfield-Theatre wird Spencer ein Jahr lang jeden Abend als Hafenarbeiter Joe bejubelt. Trotzdem wird er wegen seiner Hautfarbe diskriminiert: Sobald der Vorhang fällt, ist er nur noch ein verachteter "Nigger", der zum Beispiel viele Hotels nur durch den Hintereingang betreten darf.
Umsiedlung nach Wuppertal
1949 lädt der französische Rundfunk Spencer zum Internationalen Musikfestival in Nizza ein. Er genießt den Aufenthalt in Frankreich, denn dort erlebt er die Anerkennung als gleichberechtigter Mensch, die er in den USA vermisst. Kurz darauf heiratet Spencer in Paris die amerikanische Journalistin Josephine Clarke. Die beiden hatten sich bereits fünf Jahre zuvor bei einem Interview kennengelernt. Doch die schon lange geplante Heirat findet erst jetzt statt. Denn in mehr als der Hälfte der US-Bundesstaaten, kann eine Weiße, die einen Schwarzen heiratet, ins Gefängnis gesteckt werden.
1953 kommt Sohn Billy auf die Welt. Bald darauf zieht die Familie nach Deutschland. Spencers Leidenschaft ist die deutsche romantische Liedkultur. Zu seinen Lieblingskomponisten gehören Franz Schubert, Johannes Brahms, Richard Strauss und Hugo Wolf. Als Wohnsitz wählt Spencer Wuppertal aus, weil er dort Freunde hat.
Spirituals, Schlager, Opern-Arien
Auch in Deutschland besingt Spencer als Hafenarbeiter Joe immer wieder den Mississippi. Mit Spirituals, Schlagern und Opern-Arien zieht er die meiste Zeit des Jahres von Bühne zu Bühne. Neben Auftritten im Ausland ist er auch in zahlreichen Fernsehshows zu sehen. 1956 bejubeln ihn die Zuschauer an der Nürnberger Oper als Sarastro in Wolfgang Amadeus Mozarts "Zauberflöte". Vor dem Vorhang muss Spencer seine Arie sogar als Zugabe wiederholen.
Trotz seines Erfolges bleibt der Sänger, der am 25. April 1911 als Sohn eines Stahlarbeiters in Los Angeles geboren wurde, seinen Wurzeln verbunden. Gegen den Willen seines Vaters, der ihn eine Gärtnerlehre machen ließ, konnte Spencer dank eines Stipendiums Musik studieren. Diese Unterstützung, die er selbst erfahren hat, will er weitergeben. Doch bei einer Konzertreise im Februar 1964 für die "Gesellschaft zur Förderung der Farbigen" stürzt das Flugzeug ab. Ausgerechnet an der Mündung jenes Flusses, den er so oft besungen hat: am Mississippi.
Stand: 25.04.2011
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