Stichtag

26. Oktober 2005 - Vor 50 Jahren: Österreich beschließt "immerwährende Neutralität"

"Adenauer war ernstlich böse auf uns", erinnert sich später Heinrich Drimmel, ehemaliger österreichischer Unterrichtsminister. "Er hat bis zuletzt versucht, dass dieses Ding nicht zustande kommt." "Dieses Ding" ist die Neutralitätserklärung Österreichs, die das Parlament in Wien mit den Stimmen einer Großen Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) am 26. Oktober 1955 beschließt: "Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit … erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. … Österreich wird in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen."
Adenauers Ärger ist verständlich: Während Deutschland nach dem Krieg geteilt ist, Besatzungstruppen der Siegermächte beherbergt und zum Frontstaat des Kalten Krieges wird, erhandelt sich Österreich zehn Jahre lang zäh eine Sonderposition: Freiheit ohne Westbindung. 1945 ist das Land, das den Krieg als Teil des Deutschen Reiches verliert, besetzt und geteilt, Wien wie Berlin in vier Sektoren zerlegt. Aber Österreich will jetzt nicht mehr mit den Deutschen in einem Boot sitzen. Obwohl Hitler 1937 unter Jubel in Wien "den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündet, fühlen sich die meisten nach dem Krieg als erste Opfer der Nazis. Satiriker formulieren: "Österreich hat die Welt davon überzeugt, dass Beethoven ein Wiener, Hitler und Eichmann aber Deutsche waren."

Wenige Jahre nach dem Krieg beginnt die Wiener Führung Verhandlungen mit den Russen. 1954 bietet Chruschtschow an, gegen eine Neutralitätserklärung die meisten sowjetischen Truppen abzuziehen, aber eben nicht alle. Die Österreicher lehnen ab. Die Zähigkeit ihres Verhandlungsführers Rudolf Kirchschläger - des späteren Bundespräsidenten - zahlt sich aus. Cruschtschow will seinen Entspannungswillen nach der Stalin-Ära demonstrieren und gibt nach. Jetzt können die Westmächte nicht als Blockierer dastehen und willigen ein. Österreich erreicht in einem Staatsvertrag seine völlige Souveränität. Im Sommer 1955 ziehen alle Besatzungssoldaten aus der Republik ab, darunter 50.000 Rotarmisten.
Die Neutralitätserklärung aus Wien ist Österreichs Preis für diesen Abzug. Das Land zahlt ihn gern. In den kommenden Jahrzehnten gehört es selbstverständlich wirtschaftlich und kulturell zum Westen, ohne der NATO beizutreten. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schließt es sich 1995 der EU an. Der 26. Oktober ist bis heute Nationalfeiertag.

Stand: 26.10.05