Im Augenblick seines Abschieds vom Reitsport 1981 weint Josef Neckermann wie ein Kind. Nach 333 Siegen offenbart da in der Aachener Soers ein Herr Gefühle, den die Deutschen seit Jahrzehnten nur als perfekte Verkörperung von tadelloser Haltung, eiserner Disziplin und distanzierter Höflichkeit kennen. 20 Jahre lang gehörte der nun 69-Jährige zur Weltspitze des Dressur-Reitens, war Welt- und Europameister. Auch olympisches Gold errang er zwei Mal, allerdings nur mit der Mannschaft. Der Einzel-Titel blieb dem auf Leistung fixierten Neckermann, der sonst alles möglich machte, bei vier olympischen Ritten versagt. Darunter leidet er, dort in Aachen und bis zu seinem Tod. "Mit dem zweiten Platz fing für mich von jeher die Niederlage an", bekennt er in seinen Erinnerungen.
Kavallerieoffizier hat der 1912 in Würzburg geborene Sohn eines wohlhabenden Kohlenhändlers werden wollen. Der frühe Tod seines Vaters zwingt ihn in die Kaufmanns-Laufbahn. Mit 23 wagt Neckermann den Sprung in die Selbständigkeit. Für einen Spottpreis übernimmt er 1935, inzwischen NSDAP-Genosse, ein Würzburger Kaufhaus, dessen jüdischer Besitzer zur Aufgabe gezwungen wird. Drei Jahre später profitiert Neckermann wieder von der Arisierungs-Welle und übernimmt in Berlin eine ehemals jüdische Wäschefabrik. Nach Kriegsbeginn avanciert der Unternehmer zum stellvertretenden "Reichsbeauftragten für Kleidung und verwandte Gebiete" und macht glänzende Geschäfte als Uniformlieferant. Wegen seiner NS -Kollaboration bezeichnet Altbundeskanzler Helmut Schmidt noch 1994 Neckermann als "Nutznießer des braunen Terrors". Neckermann selbst ist zeitlebens frei von jedem Schuldbewusstsein. Man lebe nun mal nicht in einem Geschichtsbuch, ist später sein lakonischer Kommentar zu diesem Kapitel, und er bereue nichts.
In den 50er Jahren liefert Neckermanns Versandhaus den Deutschen das Wirtschaftswunder frei Haus, wird der Neckermann-Katalog zur unverzichtbaren Konsum-Bibel. Neckermanns Geschäftsphilosophie, als "billiger Jakob" Luxusgüter von gestern zu Gebrauchsgütern von morgen zu machen, erweist sich als überaus erfolgreich. "Neckermann macht's möglich" wird zum geflügelten Wort. Ab 1963 bietet das Unternehmen auch Flugreisen an und gibt damit den Startschuss zum umstrittenen Massentourismus. Der Einstieg ins Reisegeschäft bleibt aber Neckermanns letzter unternehmerischer Erfolg. Im selben Jahr steigt der Großindustrielle Friedrich Flick mit seinen bei Neckermann investierten 70 Millionen Mark wieder aus. Von diesem Kapitalverlust wird sich der Konzern nicht mehr erholen. 13 Jahre später ist Neckermann ein Sanierungsfall und wird vom Warenhauskonzern Karstadt geschluckt. Eine Entscheidung mit Langzeitfolgen, denn bis zum heutigen Tag belastet das Neckermann-Erbe die Bilanzen des Branchenriesen. Josef Neckermann selbst erwirbt nach Ende seiner Unternehmer- und Sportlerkarriere große Verdienste als Wegbereiter und Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe. Bis 1988 trommelt der "Bettler der Nation" rund 220 Millionen Mark zur Förderung des Spitzensports zusammen und setzt sich damit als "Vater der Sportler" selbst ein Denkmal. In seinen letzten Lebensjahren erkrankt der lebenslange Kettenraucher an Lungenkrebs. Am 13. Januar 1992 stirbt Josef Neckermann 79-jährig in seiner Villa in Dreieich.
Stand: 13.01.07