"Schufte!" So beschimpft Kinderarzt Fritz Lejeune 1953 ein Ehepaar, das seinen Sohn misshandelt. "Der kleine Heinz, der auch bei acht Grad unter Null in einem Schuppen schlafen muss, ist für die Familie nicht mehr als ein Arbeitssklave. Als Lohn bezieht er regelmäßig Prügel. Die Leute sind unbelehrbar." Spuren solcher Gewalt sieht der aus Köln stammende Lejeune in seiner Hamburger Praxis. In der Nachkriegszeit ist die Prügelstrafe ein gängiges Mittel der Erziehung. Deshalb gründet Lejeune am 16. November 1953 den Deutschen Kinderschutzbund (DKSB). "Das Kind ist das verletzlichste Glied der Gesellschaft - jedes Kind ist dein Kind", lautet sein Motto. In der ersten Ortsgruppe in Hamburg ist der Arzt mit einigen Fürsorgern, wie Sozialarbeiter damals heißen, aktiv. Lejeunes Engagement stößt auf positive Resonanz. Bald werden auch in Duisburg, Dortmund und Köln Ortsgruppen gegründet. Erst Jahrzehnte später wird Lejeunes braune Vergangenheit bekannt: Der DKSB-Gründungspräsident hat im "Dritten Reich" als Medizinhistoriker Karriere gemacht. Der spätere Professor trat bereits Mitte der 1920er Jahre in die NSDAP ein. Den Kinderschutzbund leitet Lejeune bis 1964. Er stirbt zwei Jahre später.
Schon wenige Jahre nach der Gründung arbeitet der Kinderschutzbund in der ganzen Bundesrepublik. Seine erste Forderung lautet: "Schluss mit der Prügelstrafe zu Hause und in der Schule!" Zunächst fordert der DKSB eine harte Bestrafung der Täter. Dann entwickelt er Ansätze eines vorbeugenden Kinderschutzes: Durch Elternbildung soll die Gewalt in den Familien reduziert werden. Daraus entwickelt sich in den 1970er Jahren das Prinzip "Hilfe statt Strafe". Gewaltpotenziale in den Familien werden zu den sozialen und ökonomischen Verhältnissen in Beziehung gesetzt. Die Arbeit mit der ganzen Familie, also auch mit den Tätern, stößt bei der Bevölkerung teilweise auf Unverständnis. Für den DKSB ermöglicht jedoch erst dieser Arbeitsansatz einen hilfeorientierten Zugang zu misshandelten Kindern. "Unser Ansatz ist immer Hilfe zur Selbsthilfe und niemals nur versorgen, sondern vorsorgen", sagt der heutige DKSB-Präsident Heinz Hilgers. In sogenannten Kinderschutz-Zentren finden Kinder Zuflucht und Unterstützung, aber auch Eltern können sich dort beraten lassen. Hilfe und Rat bieten ebenfalls ein Kinder- und Jugendtelefon sowie ein Elterntelefon. Insgesamt sind beim Kinderschutzbund rund 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, die von über 10.000 Ehrenamtlichen unterstützt werden. Getragen wird der Verein mittlerweile von über 50.000 Mitgliedern in 420 Ortsverbänden.
Über 20 Jahre lang kämpft die Organisation dafür, dass Kinder per Gesetz vor Gewalt geschützt sind. Seit 2000 steht im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung." Um diese Formulierung ist intensiv gerungen worden. "In den ersten Entwürfen stand noch: Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Da waren sie wieder Objekt. Und nachher wurden sie zum Rechtssubjekt, die selber ein Recht haben", sagt Präsident Hilgers. Darüber hinaus fordert er, die Rechte der UN-Kinderrechtskonvention nun auch im Grundgesetz festzuschreiben.
Stand: 16.11.08