"Ein Türke als Oberbürgermeister?" Die Schlagzeile einer SED-Zeitung ist ein diffamierender Willkommensgruß an Ernst Reuter. Nach elfjährigem Exil in der Türkei kehrt der Sozialdemokrat Ende 1946 nach Berlin zurück. Damals ist das besetzte Berlin quasi schon geteilt. Im Ostteil haben die Sowjets das Kommando, im Westteil die Amerikaner, Briten und Franzosen.
Reuter wehrt sich vehement gegen alle Versuche der UdSSR, Westberlin in ihre Besatzungszone einzuverleiben: "Wir wissen, dass eine grausame, brutal, rücksichtlose, aggressive imperialistische Macht den Willen hat, uns in die Knie zu zwingen." Im Frühjahr 1947 wird Reuter vom Berliner Parlament zum Oberbürgermeister gewählt. Die Sowjets legen dagegen ihr Veto ein. Sie verhindern seinen Amtsantritt auch, weil sie ihn als Verräter betrachten. Reuter war Anfang der 1920er Jahre ein führender Funktionär der KPD, dann aber in die SPD eingetreten.
SPD wichtiger als Familie
Geboren wird Reuter am 29. Juli 1889 in Apenrade, das damals zu Schleswig-Holstein und heute zu Dänemark gehört. Er bricht früh mit den Konventionen seines bürgerlichen Elternhauses. Für seine Mitgliedschaft in der SPD nimmt er sogar das Ende seiner Verlobung in Kauf. Im Ersten Weltkrieg gerät er als Verwundeter in russische Kriegsgefangenschaft. Er wird in einem Bergwerk beschäftigt, lernt russisch und wird 1917 Zeuge der Oktoberrevolution. Lenin macht Reuter zum Kommissar der Wolgadeutschen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland ist er zunächst Generalsekretär der KPD, tritt dann aber in die SPD ein. Als Vertreter der Sozialdemokraten wird Reuter 1926 in Berlin Stadtrat für das Verkehrswesen und gründet die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). 1931 wird er in Magdeburg zum Oberbürgermeister gewählt. Einige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 dringt die SA ins Rathaus ein und wirft Reuter die Treppe hinunter. Er wird als Oberbürgermeister abgesetzt, zwei Mal verhaftet und im Konzentrationslager Lichtenburg misshandelt. Einer drohenden dritten Verhaftung kann er 1935 entgehen und mit der gesamten Familie in die Türkei entkommen. Reuter arbeitet dort erst im Wirtschaftsministerium, später wird er Professor für Politische Wissenschaft an der Universität von Ankara.
Rede vor der Ruine des Reichstag
Wenige Tage nach der Rückkehr ist Reuter 1946 bereits wieder Berliner Verkehrsdezernent. Auch nachdem die Sowjets seinen Amtsantritt als Oberbürgermeister verhindert haben, spielt Reuter weiter eine zentrale Rolle. Im September 1948, auf dem Höhepunkt der Blockade Westberlins durch die UdSSR, hält er vor Hunderttausenden vor der Ruine des Reichstages seine berühmte Rede: "Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt."
Nach der Teilung der Stadtverwaltung im Dezember 1948 kann Reuter das Amt als Regierender Bürgermeister von West-Berlin antreten. Am 29. September 1953 stirbt Ernst Reuter plötzlich an den Folgen einer Herzmuskelschwäche.
Stand: 29.07.09