Kahle Kiefern, marode Eichen, Nadeln und Blätter sind blass-gelb statt tiefgrün: Anfang der 1980er Jahren wird den Deutschen allmählich klar, dass sie vor lauter kranken Bäumen bald keinen Wald mehr sehen könnten. Ignaz Kiechle, CSU-Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, schickt im Sommer 1984 Experten in die deutschen Wälder, um exakte Zahlen und mögliche Ursachen zu ermitteln. Das Ergebnis der ersten bundesdeutschen Waldschadenserhebung bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Am 16. Oktober 1984 erfährt die Öffentlichkeit: Der nationale Baumbestand siecht auf breiter Front dahin. 66 Prozent Schadfläche in Baden-Württemberg, 57 Prozent in Bayern, 42 Prozent in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz.
Besonders hart getroffen hat es die Nadelbäume. Wo Tannen, Fichten und Kiefern noch vor wenigen Jahren dicht an dicht gediehen, zeugen nun massenhaft umgestürzte Bäume und kahle Hanglagen vom Ernst der Lage. Als Hauptverursacher machen die Forstexperten allerdings nicht Insekten- oder Pilzbefall aus, sondern sauren Regen, kontaminiert durch Schwefel aus Fabrikschloten und Autoabgasen. Große Hoffungen auf eine grüne Zukunft für den Wald richten sich deshalb auf eine Verringerung der Schadstoffemissionen, durch bessere Filter in den Industrieanlagen und die Einführung des Katalysators für Verbrennungsmotoren. Für seine treuherzigen Versicherungen, den entstandenen Waldschaden in 30 bis 40 Jahren durch Aufforstungen wieder wettmachen zu können, erntet Bundesforstminister Kiechle bei Umweltschützern jedoch nur Hohn und Spott.
Ein Vierteljahrhundert nach dem alarmierenden Kiechle-Report scheinen die damals eingeleiteteten Gegenmaßnahmen das Schlimmste verhindert zu haben - dem Augenschein nach. Wolfgang Bongardt, Revierförster im 4.000 Hektar großen Kottenforst bei Bonn, zieht allerdings eine andere Bilanz: "Insgesamt ist der Wald mindestens so geschädigt wie in den 80er Jahren, wenn nicht sogar noch schlimmer." Zwar hat der verringerte Schadstoffausstoß die verheerende Wirkung des sauren Regens weitgehend gestoppt. Dafür machen nun Stickstoff-Verbindungen aus der Luft, verursacht durch Industrie, Verkehr und Landwirtschaft, dem Wald schwer zu schaffen. Der Klimawandel stresst die Bäume durch zunehmend heißere, trockenere Sommer zusätzlich. Dass Waldspaziergänger den grünen Lungen ihre angegriffene Gesundheit nicht mehr so deutlich ansehen, liegt nur am verstärkten Einsatz der Kettensägen. "Wenn wir alle schwächelnden und kranken Bäume stehen lassen würden", erklärt Wolfgang Bongardt, "sähe das Szenario völlig anders aus."
Stand: 16.10.09