"Es ist meine Schuld, dass ich die Jugend erzogen habe für einen Mann, der ein millionenfacher Mörder gewesen ist", sagt Baldur von Schirach am 24. Mai 1946 vor dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal. Der ehemalige "Reichsjugendführer" ist einer der wenigen, die ihre Mitschuld an den Nazi-Verbrechen gestehen - wohl aus Kalkül, um dem Galgen zu entgehen. Der Historiker Michael Wortmann, der eine Biographie über Schirach geschrieben hat, weist auf dessen geschickte Formulierung hin: "Er hat gesagt, sein Fehler sei es gewesen, dass er die Jugend für einen Massenmörder, nämlich Adolf Hitler, erzogen habe. Schlicht und einfach: der Massenmörder war Adolf Hitler und er war nur der Erzieher."
Als oberster Nazi-Pädagoge treibt Baldur von Schirach die Kinder mit fanatischem Ehrgeiz in die "Hitlerjugend" (HJ). Zu Hitlers Geburtstag erklärt er 1937: "Deutschland braucht auch den kleinsten Pimpfen. In der großen Kameradschaft der Jugend soll er, genauso wie auch das zehnjährige Mädel, lernen, den eigenen Willen dem Willen einer Gemeinschaft und einer Führung unterzuordnen." Schirach gelobt seinem "Führer", er werde ihm eines Tages die größte Jugendorganisation präsentieren, die es je gegeben habe.
Drill und Wehrertüchtigung
Baldur von Schirach stammt aus einer angesehenen Weimarer Familie. Er wird am 9. Mai 1907 geboren. Nach einer persönlichen Begegnung mit Hitler tritt er als Gymnasiast in die NSDAP ein. Bereits mit 26 Jahren wird er zum "Jugendführer des Deutschen Reichs" ernannt. Kurz zuvor hat er Henriette Hoffmann, die Tochter von Hitlers Leibfotografen, geheiratet. 1936 wird Schirach Staatssekretär. Er schaltet alle anderen Jugendorganisationen aus.
Vom "Wandervogel" oder der "Bündischen Jugend" bleiben nur Traditionen: Fahnen, Uniformen, Wanderungen, Lagerfeuer. Aus der Pfadfinderromantik wird Drill und Wehrertüchtigung. Für die Lieder sorgt Schirach selbst. Er schreibt auch den Text für das Fahnenlied der HJ: "Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not, mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot."
Ließ 60.000 Juden deportieren
Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg tragen über acht Millionen Kinder und Jugendliche die HJ-Uniform. Als der Krieg bereits verloren ist, werden die "Hitlerjungen" noch an die Front geschickt. Nach dem Krieg stellt sich Schirach den Alliierten. Er wird zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er als Gauleiter in Wien 60.000 Juden deportieren ließ. Sein Wirken als "Reichsjugendführer" kann aus juristischen Gründen nicht bestraft werden.
Nach seiner Haft im Kriegsverbrecher-Gefängnis in Berlin-Spandau wohnt er in einem kleinen Hotel in Kröv an der Mosel, das ehemaligen Führerinnen des nationalsozialistischen Bundes Deutscher Mädchen (BDM) gehört. Dort stirbt er am 8. August 1974 im Alter von 67 Jahren an Herzversagen.
Stand: 08.08.2004