Stichtag

8. Oktober 1991 - Eugen Drewermann wird katholische Lehrerlaubnis entzogen

Die Einen halten ihn für einen Propheten, andere für einen Guru. Seine Ansichten vertritt der Theologe Eugen Drewermann stets öffentlichkeitswirksam in zahlreichen Fernsehtalkshows, mit Büchern und Vorträgen. "Wer Gott findet, wer ein Gegenüber hat, dem er absolut vertrauen kann, und damit aufhört, irgendetwas auf der Welt sonst noch zu fürchten, der reift wie ein blühender Baum, und die Schönheit seines Wachsens und die Fülle seiner Früchte sind das, was wir weise nennen." Das schreibt Eugen Drewermann, 1940 geboren als Sohn eines Bergmanns im Ruhrgebiet, Priester in Paderborn, Theologe und Psychoanalytiker. Seit den 80er Jahren verknüpft er beide Wissenschaften: Ein Mensch brauche Glaube und Religion, um seine tief in der Seele verankerte Furcht zu überwinden. Der Glaube, so Drewermann, ist Lebenshilfe. Er ist bald einer der meistgelesenen und bekanntesten katholischen Theologen Deutschlands. Sein Vorgesetzter, der Paderborner Erzbischof Joachim Degenhardt, toleriert Drewermanns Standpunkt zunächst.

Ein Brief von Kardinal Ratzinger

Doch Drewermann, verkündet der Gemeinde, seinen Studenten und Psychoanalysepatienten noch anderes. Die Jungfrauengeburt sei ein Märchen. Oder Jesus sei nicht wirklich in den Himmel aufgefahren. Drewermann: "Wenn Jesus etwas zu sagen hat, dann ist das Gewaltlosigkeit, Frieden, Güte und Menschlichkeit. Aber wenn sie daraus ein Spektakel machen, wird das Aberglauben und Lächerlichkeit verbreiten." Bereits 1982 beschreibt er in seinen Schriften "Der tödliche Fortschritt" und "Der Krieg und das Christentum" das patriarchale Menschenbild der Kirche als Teilursache von Krieg und Umweltzerstörung und irritiert die Kirchenoberen. Seine Kritiker sagen, er leugne die Geschichtlichkeit der Offenbarung und zweifle an der Erlösungsbedürftigkeit der Menschen. Zudem schreibt Drewermann in einem Buch, die kirchlichen Strukturen machten die Priester psychisch krank. Man hört und liest ihn in Rom, wo Kardinal Joseph Ratzinger oberster Glaubenshüter ist, Präfekt der Glaubenskongregation. Der äußert in einem Brief an den Paderborner Erzbischof große Besorgnis über Drewermanns Bibelauslegungen. Degenhardt sagt: "Für mich ist es eine Gewissensfrage, ob alle Aussagen des Doktor Drewermann im Namen der Kirche gesagt werden können oder ob er sie besser als Privatperson sagt." Die Vertreter der Amtskirche stellen ein Ultimatum: Drewermann soll widerrufen oder er riskiert seinen Rauswurf. Bei mehreren öffentlichen Auftritten jedoch sagt Drewermann, er habe nichts zu widerrufen und er sei überzeugt katholisch zu sein, mit dem, was er lehre. Am 8. Oktober 1991 entzieht ihm Degenhardt dann brieflich die kirchliche Lehrerlaubnis für das Fach Katholische Dogmatik: Drewermann habe es auch nach langen Gesprächen abgelehnt, "sich von Äußerungen zu distanzieren, die nach meiner Beurteilung der katholischen Lehre widersprechen und die nicht nur falsche Eindrücke hervorgerufen haben."

Drewermann: Maßregelung sei "blanker Fundamentalismus"

Das löst Empörung aus, bei Pfarrern und seinen Fans; Degenhardt steht als mittelalterlicher Despot da. Drewermann selbst hält die kirchliche Maßregelung für "blanken Fundamentalismus". Ein knappes Jahr später erteilt Degenhardt auch ein Predigtverbot und suspendiert ihn auf eigenen Wunsch bald darauf vom Priesteramt. Die Fronten verhärten sich weiter, Drewermann vergleicht Degenhardt mit einer Figur aus dem Buch "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry: "Da ist ein König, der ist absolutistisch. Aber er kennt die Hälfte seines Planeten nicht und lebt von der Einbildung, er könnte die Sonne aufgehen lassen." Eugen Drewermann predigt weiter – vor seinen Anhängern. An seinem 65. Geburtstag tritt er aus der Kirche aus. Bis heute kritisiert Drewermann ihre Strukturen: "Das Papsttum als Einrichtung hat nichts mit dem zu tun, was Jesus wollte."

Stand: 08.10.2011

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