Das Parlament tat sich schwer mit dem ethischen Gewicht der Entscheidung. Vier Gesetzesentwürfe lagen dem Bundestag im Frühjahr 1974 zur Reform des Abtreibungsparagraphen 218 vor. Zwar befürwortete die Regierungskoalition aus SPD und FDP eine Fristenregelung, die den Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straffrei lässt. Aber ein sozialdemokratischer Minderheitenantrag wollte eine schärfere Variante. Und auch die Indikationenregelung der Opposition (welche die Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei lässt) gab es in zwei Fassungen: Eine Minderheit wollte ausschließlich die Lebensgefahr der Frau als Abtreibungsgrund gelten lassen.
In der Abstimmung am 26. April 1974 setzt sich der Regierungsentwurf durch, mit 247 gegen 233 Stimmen. Zu der von der Regierung gewünschten absoluten Mehrheit fehlen zwei Stimmen - von zwei SPD-Abgeordneten, die den letzten Urnengang verpassen. Das mit einfacher Mehrheit verabschiedete Gesetz scheitert jedoch im Februar 1975 am Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist die Fristenregelung verfassungswidrig, weil sie Abtreibungen ohne die Abwägung von Gründen möglich macht. Ein Jahr später wird eine erweiterte Indikationenregelung beschlossen, die auch soziale Notlagen anerkennt.
Der Vorgang wiederholt sich in den 90er Jahren nochmals, als der Paragraph nach der Wiedervereinigung überarbeitet werden muss. Wieder stürzen die Karlsruher Richter die im Juni 1992 beschlossene Fristenregelung. Bestand hat sie erst seit 1995, verbunden mit einer auf den Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichteten Beratungspflicht. Seither ist der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen zwar rechtswidrig, aber straffrei.
Stand: 26.04.04