Zum Wohle der Menschheit müssen Verbrecher an der Fortpflanzung gehindert werden. Davon ist der Kriminologe Hans von Hentig überzeugt. Für ihn ist kriminelle Veranlagung vor allem eine Frage der Gene. Seiner Meinung nach sollten "schädliche Lebenwesen" deshalb vom evolutionären Prozess ausgeschlossen werden.
"Wenn es dem Menschen gelungen ist, hornloses Vieh und Pflaumen ohne Kern zu züchten", schreibt von Hentig 1914 in seinem Buch "Strafrecht und Auslese", dann sei es fraglos möglich, "einen moralischen Menschenschlag systematisch zu züchten".
Kampf gegen Lawrence von Arabien
Geboren wird von Hentig am 9. Juni 1887. Sein Vater ist einer der wichtigen Wirtschaftsjuristen des Kaiserreichs, der sich selbst emporgearbeitet hat; 1901 wird die Familie deshalb zur Belohnung in den Adelsstand erhoben. Von Hentig erbt den Ehrgeiz des Vaters: Nach der Promotion in Jura beginnt er ein Zweitstudium der Medizin, um dem Geheimnis krimineller Energie besser auf die Spur zu kommen zu können.
Im Ersten Weltkrieg kämpft von Hentig darum, eine Maschinengewehr-Einheit mit "hervorragendem Menschenmaterial" zugewiesen zu bekommen und zieht ohne Wissen des Oberkommandos in den Krieg gegen Lawrence von Arabien. Nach 1918 sieht er die Ordnung durch den "Tuberkelbazillus" kapitalistische Schieber auf dem Schwarzmarkt in Gefahr. Die Weimarer Republik zeigt seiner Meinung nach das Versagen der Demokratie und des Bürgertums.
Begründer der "klinischen Methode"
Später sucht von Hentig die Nähe der Nationalsozialisten im Umfeld von Rudolf Heß, bevor er sich radikal zum Wortführer der kommunismusnahen Nationalbolschewiken wandelt. 1925 wird von Hentig wegen Hochverrats verklagt und flieht in die Sowjetunion. Nachdem das Verfahren ein Jahr später eingestellt wird, kehrt er nach Deutschland zurück.
Hier macht von Hentig liberale Vorschläge zur Strafrechtsreform und begründet die "klinische Methode", die den Kontakt mit Strafgefangenen zum Teil der juristischen Ausbildung macht. Seine rassische Deutung des Kriminellen allerdings behält er bei.
Mordende Lesben?
1931 erhält von Hentig einen Ruf für Strafrecht und Kriminalwissenschaft nach Kiel. Als ehemaliger Sympatisant der Kommunisten und entschiedener Gegener der Todesstrafe bleibt ihm nach der Machtergreifung Hitlers 1933 allerdings kurz darauf nur die Emigration in die USA, wo er vom FBI überwacht wird und mit Bertolt Brecht und Heinrich Mann das "Council for a democratic Germany" aus der Taufe hebt. 1951 erhält er in Bonn eine Wiedergutmachungsprofessur.
1959 schreibt von Hentig ein Buch über die "Die Kriminalität der lesbischen Frau", das seine Ansichten noch einmal verfestigt. Er stirbt am 6. Juli 1974 in Bad Tölz.
Stand: 09.06.2012
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