Mit einem kolossalen Grab will sich Papst Julius II. im geplanten Neubau des Petersdoms ein Denkmal für die Ewigkeit setzen. Die Ausführung überträgt er Michelangelo Buonarroti, dem genialsten Künstler seiner Zeit. Doch 1506, zwei Jahre nach der Grundsteinlegung, ändert Julius seine Pläne. Nun beauftragt er den 33-jährigen Bildhauer, Schöpfer der bewunderten David-Statue und der Pietà, die Decke der Sixtinischen Kapelle mit Fresken auszugestalten.
Unter Sixtus IV. war die Vatikan-Kapelle 1483 eingeweiht worden. Mehrere berühmte Maler hatten die Wände mit Szenen aus dem Leben von Jesus und Moses ausgestaltet. Die Decke aber ziert nur ein blauer Sternenhimmel. Michelangelo, der sich rein als Bildhauer versteht und in der Fresko-Malerei wenig Erfahrung besitzt, wehrt sich nach Kräften gegen den Auftrag – umsonst. Abhängig von der Gunst Julius II., macht er sich 1508 an die Arbeit und schafft eines der großartigsten Werke der abendländischen Kunst.
Bilderkosmos mit 300 Charakteren
Julius II. schwebt vor, auf dem rund 40 mal 13 Meter großen und 20 Meter hohen Gewölbe die zwölf Apostel darzustellen. Das aber lehnt Michelangelo entschieden ab. "Er wollte natürlich seinen Ruhm und seine Ehre mit diesem großen Werk steigern und einen Entwurf umsetzen, der seine künstlerischen Fähigkeiten möglichst gut zum Vorschein bringt", erklärt der Kunsthistoriker und Michelangelo-Experte Michael Rohlmann. Nach endlosem Streit gewährt der Papst dem Künstler freie Hand. In Hunderten von Vorstudien entwirft Michelangelo einen beispiellosen Bilderkosmos mit 300 Charakteren, dessen Wirkung er durch raffinierte Verzerrung der Perspektiven verstärkt.
Im Zentrum stehen neun waagerecht angeordnete Bildfelder, in denen Michelangelo die gesamte Schöpfungsgeschichte an die Decke der Sixtinischen Kapelle bannt – beginnend mit der Trennung von Licht und Finsternis bis zur Sintflut und der Trunkenheit Noahs. Den Mittelpunkt bildet die weltberühmte "Erschaffung Adams", in der Gott mit energisch ausgestrecktem Arm den Lebensfunken an Adam überträgt. Das Motiv zählt zu den am häufigsten reproduzierten Werken der Kunstgeschichte. "Ganz wichtig", betont Michael Rohlmann, "ist der Moment, dass die Finger sich noch nicht berühren. Es bleibt noch ein Zwischenraum, ein Moment der Spannung."
Strapazen in Rückenlage
Umgeben ist Michelangelos Genesis von rund 40 Bildfeldern, die Propheten und antike Figuren, Vorfahren Jesu und nackte Athleten zeigen. Besonders in der Darstellung dieser "ignudi" beweist Michelangelo, losgelöst von religiösen Konventionen, seine unerreichte Meisterschaft bei der Gestaltung kraftvoller männlicher Körper. Einige Figuren stellt der Künstler in so ausgefallenen Verdrehungen und Verrenkungen dar, wie er sie selbst, auf einem Gerüst bei Kerzenlicht auf dem Rücken liegend, beim Malen einnehmen muss.
Dabei zwingt ihn die Fresko-Technik, schnell zu arbeiten, denn die Farbe muss aufgetragen sein, bevor der feuchte Putz trocken wird. Immer wieder unterbricht Michelangelo seine Arbeit, entweder aus Erschöpfung oder weil die Bezahlung durch den Papst ausbleibt. Nach mehr als vier Jahren Strapazen, die das Renaissance-Genie in mehreren Gedichten beschreibt, ist sein unvergleichliches Werk endlich vollendet. Am 1. November 1512 wird Michelangelos Himmel auf Erden feierlich enthüllt. 1536 kehrt er in die Sixtinische Kapelle zurück, um in fünfjähriger Arbeit "Das Jüngste Gericht" an die Stirnwand zu malen.
Stand: 01.11.2012
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