An den besprochenen Büchern lässt "Das Literarische Quartett" oft kein gutes Haar. "Es ist ein abscheuliches Buch, es taugt gar nichts", sagt zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki, der letztlich ohnehin nur Thomas Mann gelten lässt, sehr gerne. Sigrid Löffler findet literarische Neuerscheinungen oft "zum Einschlafen". Und Helmuth Karasek kontert: „Sie haben die Geschichte ja noch schlimmer interpretiert, als ich sie gelesen habe!“.
Überhaupt hätten die Literaturkritiker einen "ekelhaften Beruf", konstatiert Reich-Ranicki dementsprechend: "Ewig müssen wir Romane und Erzählungen lesen, leiden darunter, schreckliche Bücher, ich leide darunter, wahnsinnig oft." Für dieses Leid und diesen Ekel ist "Das Literarische Quartett" im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) die perfekte Bühne.
Auch Verrisse verkaufen sich besser
Die Idee zur Sendung hat der Journalist Johannes Willms mit einigen Kollegen. Von Anfang an hat er die Sendung, in der vier Literaturkritiker über Neuerscheinungen diskutieren, auf die Person Marcel Reich-Ranickis zugeschnitten: "Weil ich wusste, das ist jemand, der die Sendung zusammenhält, der die anderen Drei im Griff hat". Am 25. März 1988 wird die Sendung erstmals ausgestrahlt – und entwickelt sich unter Intellektuellen und Bücherfreunden schnell zum Kult. Dabei sind auch große Namen vor vernichtenden Verrissen nicht gefeit. 1995 etwa findet Reich-Ranicki den Roman "Ein weites Feld" von Günter Grass "so unmenschlich langweilig", dass er damit einen kleinen Eklat provoziert.
Von Buchhändlern und Verlegern wird das "Literarische Quartett", zu dessen Anfangsformation neben Reich-Ranicki, Löffler und Karasek noch Jürgen Busche gehört, zunächst belächelt. Zu fern scheint die Zielgruppe eines Fernsehsenders vom Lesepublikum entfernt. Aber auch die Buchexperten müssen sich eines Besseren belehren lassen. Über 380 Titel werden vom "Literarischen Quartett" besprochen, fünf sind es in jeder Sendung; am Tag nach der Sendung schnellen die Verkaufszahlen – auch bei verrissenen Büchern – immens in die Höhe. Verleger und Buchhändler reagieren mit Aufklebern ("Besprochen vom 'Literarischen Quartett'") und Sonderschaufenstern ("Heute im 'Literarischen Quartett'") auf das TV-Ereignis.
Abschied im Schloss Bellevue
Nicht immer gelingt es Reich-Ranicki, seine Truppe beisammen zu halten. Jürgen Busche scheidet bereits nach sechs Folgen aus. Er wird 1989 durch Klara Obermüller ersetzt, die ebenfalls nach einjähriger Teilnahme geht. Danach wird das "Literarische Quartett" jede Sendung durch einen anderen Gast komplettiert. Im Juni 2000 macht Reich-Ranicki seiner immer wieder einmal durchschimmernden Abneigung gegen die Ansichten von Sigrid Löffler ("Sie halten Liebe für etwas anstößig Unanständiges") derart offensiv Luft, dass diese die Runde verlässt.
Ersetzt wird Löffler durch Iris Radisch von der Wochenzeitung "Die Zeit", die aber eher blässlich bleibt und Reich-Ranicki kein guter Gegenpart ist. 2006 endet die Ära des "Literarischen Quartetts". Die letzte Sendung findet auf Einladung von Bundespräsident Johannes Rau (SPD) im Schloss Bellevue statt.
Stand: 25.03.2013
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