Claude Hooper Bukowski kommt vom Land. In New York bezieht er eine WG mit Sheila und ihrem charismatischen Zimmergenossen Berger – und lebt von da an in einer Dreiecksbeziehung lustvoll in den Tag hinein. Als er einen Einberufungsbescheid bekommt, muss er sich zwischen seinen langhaarigen Freunden und dem patriotischen Dienst am Vaterland entscheiden.
Im Broadway-Musical "Hair" dreht sich alles um Flower-Power, freie Liebe, Drogen und den Vietnamkrieg. Von dieser gesellschaftspolitischen Dimension ist laut dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" nichts mehr zu spüren, als das Stück am 24. Oktober 1968 im Münchner Theater in der Briennerstraße im Beisein der Kulturschickeria unter dem Titel "Haare" Premiere feiert: "Das daheim als aggressiv verstandene Werk wirkte hier lieb, lau und ganz von gestern".
Nackt nur bis zum Gürtel
Den Münchner Sittenwächtern hingegen geht die Lauheit nicht weit genug. Um das sexuell aufgeladene Hippie-Musical verbieten zu können, wird es als Revue eingestuft, die laut dem bayerischen Landesstraf- und verordnungsgesetz der behördlichen Genehmigung bedarf. Ziel ist eindeutig, das Stück schnell wieder abzusetzen.
Die Truppe um den Schweizer Produzenten Werner Schmid und den korsischen Regisseur Bertrand Castelli aber will ihr Stück als zeitkritisches Popmusiktheater verstanden wissen. Die Situation eskaliert, die Stadt schickt Bußgeldbescheide und droht mit der Schließung, die Theatermacher mit dem Verwaltungsgericht.
Schließlich einigen sich Stadtpolitiker und Künstler auf einen Kompromiss: Die Darsteller dürfen sich nur unter einer Decke auf der Bühne wälzen und in der letzten Szene vor der Pause lediglich oben herum nackt posieren. Um der Situation zumindest etwas Schärfe zu geben, steht auf der verhüllenden Decke fortan "Zensiert!" zu lesen.
Endstation Ulm
Aber auch von Seiten der Übersetzer regt sich Widerstand: Produzent Schmid hat schon in vorauseilendem Gehorsam einige politische Spitzen, etwa gegen die "Bild"-Zeitung, aus dem Drehbuch gestrichen. Deshalb verteilen die Übersetzer bei der seit Wochen ausverkauften Premiere Flugblätter, die den Produzenten als "Show-Mogul" bezeichnen und Castellis Inszenierung Verniedlichung attestieren.
Trotzdem entwickelt sich "Haare" zum Publikumsmagnet. Von München aus wandert das Musical unter anderem weiter nach Düsseldorf, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg, Köln, Essen, Wien und Zürich. Zweieinhalb Jahre hält es sich auf deutschen Bühnen, in Ulm ist schließlich Schluss. Für die jungen Schauspieler und Sänger Reiner Schöne, Ron Williams, Jürgen Marcus und Donna Summer wird "Haare" zum Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere.
Stand: 24.10.2013
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