Stichtag

24. Dezember 2005 - Vor 60 Jahren: Erstes Weihnachtsfest nach dem Zweiten Weltkrieg

Weihnachten 1945 - Deutschland liegt in Trümmern. Viele Familien sind noch getrennt, Millionen von Frauen warten auf die Heimkehr ihrer Männer und Söhne aus der Kriegsgefangenschaft. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist katastrophal. Fast die Hälfte aller Wohnungen in den vier alliierten Besatzungszonen sind zerstört oder für lange Zeit unbrauchbar. Heizmaterial gibt es kaum. Selbst im Ruhrgebiet frieren viele Menschen, da die geförderte Kohle größtenteils nach Frankreich rollt. Tannenbäume und Kerzen sind Mangelware. Dennoch ist das Weihnachtsfest 1945 zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein Fest des Friedens. Heiligabend strömen die Menschen in die Kirchen, die seit Jahren nicht mehr so voll waren.

"1945 an Weihnachten war der Überlebenskampf der einzelnen Familien noch nicht vorbei", erinnert sich ein Zeitzeuge. "Da hat man nach Schuld und Sühne nicht gefragt." Andere Stimmen sagen: "Wir haben nun am eigenen Leib erfahren, was wir anderen angetan haben." Klaus von Bismarck, WDR-Intendant von 1961 bis 1976, hat dennoch positive Erinnerungen: "Bei Weihnachten 1945 stellt sich ein Gefühl ein von Wärme, von Geborgenheit, von Neubeginn, von noch mal davon gekommen zu sein." Ein stilles, aber kein sentimentales Fest sei es gewesen, stellt eine Zeitzeugin fest: "Man war voller Hoffnung, voller Aufbaugedanken und Dankbarkeit."

Aber nicht alle können so zuversichtlich sein: "Es waren die schönsten Weihnachten, die ich jemals erlebt habe, denn das waren die ersten Weihnachten, wo ich sagen konnte, ich bin wieder frei", erinnert sich der ehemalige  KZ-Häftling Hermann Reinick. Aber wenn er daran denke, komme ihm immer Weihnachten 1942 in Auschwitz in den Sinn. "Die  SS hatte einen Weihnachtsbaum vor dem Kirchengebäude aufgestellt und alle Häftlinge waren angetreten." Die schwächsten, bis aufs Skelett abgemagerten Häftlinge seien bei minus 34 Grad unter den Weihnachtsbaum gelegt und mit Wasser übergossen worden, bis sie in einem Eisblock eingefroren gewesen seien. "Außer diesem Weihnachten 1945, weil das eben die Lösung von diesem ungeheuren Druck war, habe ich es nie mehr als einen schönen Feiertag empfunden", erzählt Reinick. "Ich konnte seitdem Weihnachten nicht mehr feiern, wie es andere tun. Es geht nicht mehr."

Stand: 24.12.05