Am 15. Dezember 1890 umstellen indianische Polizisten ein Blockhaus in Standing Rock, einem Reservat in South Dakota. Sie holen den 59-jährigen Tatanka Yotanka aus dem Schlaf und teilen ihm mit, er sei verhaftet. Yotanka will sich fügen, aber herbeigeeilte Freunde mischen sich ein. Es kommt zu einer Schießerei, sechs Polizisten und acht Bewohner werden erschossen, darunter Yotanka.
Den US-Behörden, die den Haftbefehl erließen, ist das Ergebnis Recht. Sie hatten schon den Wildwest-Star Buffalo Bill, Yotankas Freund, daran gehindert, ins Reservat zu reisen, um Yotanka beizustehen. Tatanka Yotanka ist ein Sicherheitsrisiko. Die "Geistertanzbewegung" greift gerade um sich: Sioux-Indianer halten sich für unverwundbar, hoffen auf die Hilfe der Geister ihrer getöteten Vorfahren und proben den Aufstand. Da ist es Zeit, einen Mythos zu beseitigen.
Tatanka Yotanka kennt jeder in den USA unter dem englischen Namen "Sitting Bull". Den hat der Mann, der es ablehnt, englisch zu sprechen, schon als Zehnjähriger erworben, als er auf der Jagd einen jungen Büffel erlegt. Tatanka ist ein Häuptlingssohn der Hunkpapa-Lakota, 1837 irgendwo in der großen Prärie geboren. Schon als 14-Jähriger wird er Krieger, erst gegen die benachbarten Stämme der Crow, dann immer öfter gegen die vordringenden weißen Siedler und Soldaten. Aber Sitting Bull ist weit mehr als ein Kämpfer: Er züchtet Pferde, wird Medizinmann, ist ein begabter Politiker und Redner. Den 1868 mit den weißen geschlossenen Frieden lehnt er ab. "Welcher Vertrag, den der Weiße Mann mit uns geschlossen hat, wurde je gehalten? Kein einziger!" Er und sein Häuptlingskollege "Crazy Horse" behalten Recht: Goldfunde in den Black Hills und ein strenger Winter, der die Indianer zur Jagd außerhalb ihrer Reservate zwingt, nimmt die US-Regierung 1876 zum Anlass, den Prärie-Indianern den Krieg zu erklären.
Am 25. Juni besiegen die Lakota den Bürgerkriegsgeneral George Armstrong Custer am Little Big Horn. Unvorsichtigkeit und Ruhmsucht Custers kosten 165 Soldaten das Leben. Die militärisch unbedeutende Schlacht macht Sitting Bull zur Legende, obwohl er an dem Kampf selbst gar nicht beteiligt war. Der Sieg der Indianer ist zugleich ihr Verhängnis. Jetzt werden sie von starken Truppen systematisch verfolgt, niedergemacht und in Reservate abtransportiert. Tatanka Yotanka flieht über die Grenze nach Kanada. Aber er hat solches Heimweh, dass er nach vier Jahren zurückkehrt. Zwei Jahre Haft nimmt er in Kauf. Er überlebt als Medienstar. In Buffalo Bills Wild-West-Show reitet er für 50 Dollar pro Auftritt durch die Manege, lässt sich jedes Autogramm bezahlen, empfängt Journalisten in seiner Hütte in Standing Rock. Seine Hoffnung hat er aufgegeben, seinen Trotz nicht: "Indianer? Es gibt keine Indianer mehr. Nur mich!"
Zwei Wochen nach Sitting Bulls Tod machen Soldaten am Wounded Knee mehr als 200 Männer, Frauen und Kinder nieder. Das ist das Ende der freien Sioux.
Stand: 15.12.05